Bildung
Dr. Thomas Nitzsche
Dr. Thomas Nitzsche

Ökonomische Bildung fehlt

Zu den Beiträgen "Sexualerziehung ist Hauptstreitpunkt" (TLZ) und "Mit Bildungsplan vorgeprescht" (OTZ) vom 10.3.2016 erklärt der Bildungspolitische Sprecher der FDP Thüringen, Thomas Nitzsche:

Die zu frühe Sexualerziehung ist für CDU und AfD der Hauptstreitpunkt am Thüringer Bildungsplan bis 18 Jahre. Für die FDP kurz widersprochen: Ich halte den Bildungsplan da für absolut richtig, und auch insgesamt für ein wichtiges und ausgewogenes Papier. Letzteres mit einer großen Ausnahme, wo ich für die Diskussion des Papiers bis Ende 2017 auch dringend Ergänzung empfehle. Ich hoffe sehr, dass die bürgerliche Opposition im Landtag dies nach der ersten Aufregung auch noch ernsthaft aufgreift.
Bei den zehn Bildungsbereichen fehlt etwas: die Ökonomische Bildung. Sonst ist an alles gedacht: Sprache, Gesundheit, Naturwissenschaft, Mathe, Musik, Kunst, Philosophie, Religion, Medien, Zivilgesellschaft - alles drin. Umso frappierender die Lücke.
Das ist kein Problem nur der Gewichtung, wie etwa der Wunsch nach mehr MINT oder das Dilemma, zwischen mehr Stunden für Geschichte, Mathe oder Sprache abzuwägen. Ökonomische Kompetenz fehlt als Ziel einfach völlig. Es ist auch kein Zufall, denn dieses Fehlen des Blicks für die Praxisrelevanz des zu erwerbenden Wissens setzt sich bis in den Fachlehrplan Wirtschaft und Recht hinein so fort.


Woher kommt das? Und kann das gut sein?
Etwa seit der Jahrtausendwende leben wir in einer Zeit, die Paradigmenwechsel in der Absicht, Gutes zu tun, einfach fundamental schick findet - und zwar ganz egal, ob das neue Paradigma bei richtigem Kern in Gänze doch vielleicht überzogen ist. Das reicht bis tief in den Wissenschaftsbetrieb hinein, aus dem heraus es sich dann über Gutachten und Politikberatung bis in die Gesetzgebung auswirkt.
Eine Verkehrsplanung, die das Auto zum Feindbild erhebt. Vorschriften zur Gebäudedämmung, die Bauen zunehmend unerschwinglich machen. Ein Bundesimmissionsschutzgesetz, das im urbanen Raum praktisch Handlungsunfähigkeit verordnet. Das hat alles seine gute Absicht. An den Unis findet man kaum noch ernst zu nehmende Vertreter der Gegenmeinung - und doch wird die Welt in dreißig Jahren das über den guten Kern hinaus Bordende vergessen haben oder belächeln. Nur heute kommt man kaum dagegen an. Das gleiche Bild auch in der Erziehungswissenschaft. Hier beherrschen die Großtrends Inklusion und Reformpädagogik das Feld. Beides richtig, aber auch beides in der Regel überzogen. Omas Weisheit: "Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir" wird darüber vergessen, oder von Ministerin Klaubert heute so übersetzt: Es geht darum, "wie junge Menschen die Welt erobern" und "Bildung [..] sei eben mehr als Wissens- und Fähigkeits-Aneignung für spätere Berufsfähigkeit."
Beides ist erst einmal richtig. Wenn aber das Ziel der Berufsfähigkeit völlig ausgeblendet wird, melde ich ganz entschieden Widerspruch an. Wenn die Ausrichtung des Unterrichts an (wie oft beklagt) "den Interessen der Wirtschaft" inzwischen zum Vorwurf taugt, dann deutet das auf eine krasse Fehlentwicklung unseres Bildungswesens hin.
So schön es ist, dass Medien und Zivilgesellschaft nun in den Kanon gefunden haben, ohne Wirtschaft als den elften Bildungsbereich erziehen wir uns damit nur mündige Bürger, für die das Geld aus dem Automaten zu kommen hat. Von der Demo für mehr Bürgerbeteiligung geht es dann zurück auf die Couch, wo die Lektüre über ein bedingungsloses Grundeinkommen noch bereitliegt.