Interview für die Thüringische Landeszeitung
Generalsekretär Patrick Kurth, MdB
Generalsekretär Patrick Kurth, MdB

ERFURT. Thüringens FDP-Generalsekretär und Bundestagsabgeordneter Patrick KURTH gab der Thüringischen Landeszeitung (heutige Ausgabe) folgendes Interview. Die Fragen stellte Hartmut Kaczmarek.

Frage: Die neuen Länder haben noch immer einen großen Nachholbedarf. Sie sind Beauftragter Ihrer Fraktion für den Aufbau Ost. Was ist noch zu tun?

KURTH: Alle Strukturdaten - von der Arbeitslosigkeit über die Kapitaldecke bis zur Einwohnerentwicklung - zeigen, dass der Osten Deutschlands noch erheblichen Nachholbedarf hat. Wir brauchen Ausbildungs- und Arbeitsplätze.

Frage: Hier kommt die Wirtschafts- und Finanzpolitik in den Ländern ins Spiel. Wo steht Thüringen?

KURTH: Ich kann nicht erkennen, dass Thüringen sich beispielsweise in ausreichendem Maße auf die Reduzierung der EU-Fördermittel nach 2013 vorbereitet hat.

Frage: Aber Thüringen spart doch auch. Der Etat 2012 soll ausgeglichen sein.

KURTH: Bis jetzt stehen die Zahlen nur auf dem Papier. Das muss erst einmal erwirtschaftet werden. Und noch eins: Dieser ausgeglichene Haushalt ist nicht in Thüringen eigen erwirtschaftet. Thüringen macht nur eine verwaltende, aber leider keine wirklich gestaltende Finanzpolitik.

Frage: Aber Thüringen tut doch eine Menge auch bei der Wirtschaftsförderung.

KURTH: Die Thüringer Wirtschaftspolitik muss sich auf die kleinen, innovativen mittelständischen Unternehmen konzentrieren.

Frage: Aber genau das nimmt doch Herr Machnig immer für sich in Anspruch.

KURTH: Zwischen Wort und Tat klafft aber eine Riesenlücke. Große Unternehmen erhalten Fördermittel. Gerade jüngst erst wurde Opel 15 Millionen zugesagt. Auf der anderen Seite sind die kleinen und mittleren Unternehmen, denen man das Leben schwer macht. Da werden im laufenden Verfahren Förderrichtlinien geändert. Das treibt die Mittelständler in Thüringen zu Recht auf die Barrikaden.

Frage: Man ändert also während des laufenden Spiels die Regeln.

KURTH: Genau. Das würde Fußballspieler ganz gehörig verunsichern. Denn sie wissen nicht, welche Regeln jetzt gelten und ob sie sich darauf verlassen können, dass die Regeln bis zum Spielende bestehen bleiben oder wieder geändert werden. Das geht so nicht. Im April war es die Leiharbeit, die beschränkt werden sollte, jetzt sind es Dauerarbeitsplätze, die geschaffen werden sollen. Und bereits bei der Änderung im April hat das Wirtschaftsministerium auf die Überzeichnung des Fördervolumens verwiesen, jetzt aber wieder neue politische Kriterien eingeführt.

Frage: Was ist denn dagegen zu sagen, wenn man Förderung auch an die Schaffung von Arbeitsplätzen knüpft?

KURTH: Weil die Qualität der Arbeitsplätze keine Rolle spielt, wenn man die Latte so anlegt, wie es der Wirtschaftsminister macht. Zwei Arbeitsplätze für Ingenieure kosten einen Unternehmer doch genau so viel wie die doppelte oder dreifache Zahl von Arbeitsplätzen für angelernte Kräfte.

Frage: Was ist an der Förderung für Opel so verwerflich?

KURTH: Mit dem gleichen Geld - 15 Millionen Euro - hätte man 100 kleine, hochinnovative Thüringer Unternehmen mit jeweils 150 000 Euro unterstützen können. Wenn jede dieser Firmen mit diesem Geld dann drei Ingenieure einstellt, hätte man 300 hochqualifizierte neue Arbeitsplätze in Thüringen geschaffen. Und auch die Förderung der neuen Sportstadien in Jena und Erfurt geht an den mittelständischen Unternehmen völlig vorbei. Das ist völlig falscher Eifer, den der Wirtschaftsminister hier entfaltet. Die Thüringer können als ein fleißiges und bodenständiges Volk in der Mitte Deutschlands erwarten, dass sie auch fleißig und bodenständig regiert werden.

Frage: Wie müsste sich Thüringen denn vorbereiten auf die Zeit nach 2013. Frau Lieberknecht hat ja 2020 fest im Blick. Bis dahin soll Thüringen auf eigenen Beinen stehen.

KURTH: 2020 braucht man kein eigenes Konzept mehr zu entwickeln. Da sind die Messen gesungen. Es geht um die Jahre nach 2013. Thüringen braucht hier ein klares Konzept, was sich das Land noch an Ausgaben leisten will. Und man muss einen Blick auf die Einnahmeseite werfen. Einnahmen kann man nur dann generieren, wenn eine florierende Wirtschaft im Land einschließlich der Firmenzentralen existiert. Hier ist es noch zu wenig gelungen, vom Prinzip der verlängerten Werkbank wegzukommen. Außerdem konzentriert man sich bei der Wirtschaftsförderung zu stark auf die Großen und auf einzelne Marktsegmente.

Frage: Grüne Technik...

KURTH: ...was immer das auch heißen mag. Wir haben in Thüringen hochinnovative Firmen, die sich ihre Nischen auf den Weltmärkten gesucht haben. Auf die müsste man sich konzentrieren. Denn hier werden Arbeitsplätze geschaffen. Außerdem fließen so auch mehr Steuern in die Landeskassen.

Frage: Thüringen hat noch viel Arbeit zu leisten, trotz des neuen Finanzministers aus Sachsen.

KURTH: Thüringen braucht eine mittel- und langfristige finanzpolitische Konzeption. Am besten zusammen mit den Bundesländern, die in einer ähnlichen Lage sind.

Frage: Sie meinen die mitteldeutschen Länder?

KURTH: Ja. Drei Schwache werden stärker, wenn sie zusammenarbeiten. Ich plädiere stark für einen mitteldeutschen Bildungsraum. Das Gleiche gilt für viele andere Dinge des täglichen politischen Lebens. Es kann und darf nicht sein, dass sich die drei Länder immer wieder gegenseitig Investoren abspenstig machen. Damit produziert man Fördermittelnomaden, die von einem Land ins andere gehen.

Frage: Blicken wir mal auf die Parteipolitik: Für die FDP sieht es derzeit ja nicht gerade rosig aus.

KURTH: Parteipolitisch gesehen wäre es schöner, wenn es besser stünde. Das ist richtig. Aber wenn man Politik für Deutschland macht, kann es nicht nur immer um die eigene Partei gehen.

Frage: Geht es denn Deutschland besser?

KURTH: Eindeutig ja. Mit etwas Demut könnte man sogar sagen, es ist besser, dass es Deutschland gut geht als einer einzelnen Partei.

Frage: Schwarz-Gelb steht doch in den Umfragen so schlecht da wie selten. Und Erholung ist nicht in Sicht. Was ist das Problem?

KURTH: Diese Bundesregierung hat Aufgaben zu bewältigen, die in ihrer Masse und zeitlichen Abfolge vergleichbar sind mit einer Kraftanstrengung, wie wir sie das letzte Mal vor 20 Jahren in Deutschland erlebt haben. Stichworte: Energiewende, Euro bis hin zu einer weltweiten Sicherheitspolitik. Die Ergebnisse der Halbzeitbilanz dieser Bundesregierung sind absolut zufriedenstellend.

Frage: Das erklärt aber nicht das Tief bei den Wählern.

KURTH: Eine neue Bundesregierung hat nach dem Start immer mit Gegenwind zu rechnen. Dabei musste jede Bundesregierung Federn lassen.

Frage: Versuchen Sie doch mal die Umfragezahlen zu analysieren.

KURTH: Was hat sich denn wirklich verändert seit der Wahl 2009. CDU, SPD und Linke sind in etwa gleich geblieben. Die Grünen sind raufgeschossen, die FDP hat stark verloren.

Frage: Woher kommt das?

KURTH: Ich führe das auch auf ein sehr modernes Wählerverhalten zurück. Die Zahl der Wechselwähler ist enorm gestiegen. Dieses Wählerverhalten birgt Chancen, aber auch Risiken.

Frage: Finden Sie dieses Wählerverhalten schlecht?

KURTH: Nein, überhaupt nicht. Es spricht für eine sehr selbstbewusste Wählerschaft.

Frage: Im Augenblick leidet die FDP darunter?

KURTH: Mir ist es lieber, wir gehen bei einer Wahl hoch statt mitten in der Legislaturperiode bei einer Umfrage.

Frage: Bei aller Skepsis gegenüber Umfragen kommt doch die FDP aus dem Tief nicht heraus. Hat der neue Parteichef Rösler den Neustart schon vermasselt?

Nein. Die FDP hat zweifellos zu Beginn der Legislatur Fehler gemacht. Das haben wir erkannt. Die FDP hat sich beispielsweise das Steuerthema wegnehmen lassen. Dabei ist es nach wie vor notwendig, im Steuerrecht massive Änderungen herbeizuführen. Wir haben daraus personelle Konsequenzen gezogen.

Frage: Trotzdem: Läuft die Zeit für Rösler nicht langsam ab?

KURTH: Lassen wir doch mal die Kirche im Dorf. Philipp Rösler hat die Chance verdient, sich auf Bundesebene bekannt zu machen. Das dauert seine Zeit. Herr Gabriel war nach seinem Wechsel in die Bundespolitik auch weitgehend unbekannt.

Frage: Aber er ist doch schon seit zwei Jahren auf Bundesebene tätig.

KURTH: Aber die längste Zeit in einem Ministerium, dem Gesundheitsressort, das viele Leute kritisch beäugen. Nein, lassen wir Philipp Rösler Zeit. Bisher hat er sich hervorragend geschlagen.

Frage: Macht es vor dem Hintergrund der zahlreichen Unwägbarkeiten für den Bundesetat - Stichwort Eurokrise, Rettungsschirme - überhaupt noch Sinn, über Steuersenkungen zu reden?

KURTH: Wir sprechen derzeit über eine Entlastung, die in etwa zwei Prozent der Einnahmen des Bundes ausmacht. Es handelt sich dabei um eine Größenordnung zwischen sieben und zehn Milliarden. Wenn ich dieses Argument zum Maßstab mache, dann hätte man in diesem Jahr weder Hartz IV anpassen noch die Renten erhöhen können. Deshalb ist das ein in keiner Weise schlagendes Argument. Unser Ziel ist es, diejenigen zu entlasten, die ohnehin Steuern zahlen. Deutschland wird nicht gesunden, wenn die Steuerlast auf den kleinen und mittleren Einkommen so bleibt wie sie im Augenblick ist.

Frage: Nun wird dieser Bundesregierung gerne der Vorwurf gemacht, sie handele unsozial.

KURTH: Das ist Unsinn. Diese Bundesregierung hat das Kindergeld um 20 Euro erhöht. Das bringt für Familien wegen der Steuerbelastung mehr als eine Lohnerhöhung von 20 Euro. Für mich ist es auch eine Frage sozialer Politik, ob wir kleine und mittlere Einkommen von ihren Belastungen entlasten. Ich habe kein Verständnis dafür, dass Thüringen sich auch an der Blockadepolitik des Bundesrates beteiligt.

Frage: Sie meinen das Steuervereinfachungsgesetz 2011.

KURTH: Ja. Da ging es um eine Entlastung von drei Euro monatlich. Dabei ging es hier nur um eine Begradigung bei den Steuergesetzen.

Frage: Der Bundesrat wird weitere Steuersenkungen blockieren.

KURTH: Dann muss Thüringen mit den anderen Bundesländern erklären, warum man eine solche unsoziale Politik verfolgt. In Deutschland gibt es 30 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte bei einer Gesamtbevölkerung von 80 Millionen. Und noch eins: Die von uns beabsichtigten Steuersenkungen würden vor allem in Thüringen wirken, weil in Thüringen die Löhne immer noch unter denen im Westen liegen.

Frage: Kommt die FDP aus ihrem demoskopischen Tief heraus.

KURTH: Ja.

Frage: Wann?

KURTH: (lacht) Diese Frage ist schwer zu beantworten, da sie mit der Zukunft zu tun hat. Nein: Im Ernst. Man sieht doch an der gegenwärtigen Schuldenkrise der Staaten, dass sich immer mehr Menschen fragen, ob es so noch weitergehen kann, ob wir weiter unbegrenzt Schulden machen können oder ob wir nicht eine neue Sicht auf Haushalts- und Finanzpolitik brauchen. Und hier ist die FDP nach wie vor die einzige Partei in Deutschland, die eine möglicherweise unbequeme aber nach wie vor richtige Antwort auf diese Frage hat.

Frage: Welche?

KURTH: Dass wir uns nicht alles leisten können, was wir wollen.

Frage: Macht es der FDP ein wenig Sorge, dass die CDU ein wenig in Richtung Grüne schielt?

KURTH: Die CDU ist doch derzeit in einer Art Selbstfindungsprozess. Dabei geht sie sehr unterschiedliche Wege. Wenn ich mir vorstelle, dass Claudia Roth und Innenminister Friedrich gemeinsam über Vergangenheitsbewältigung reden, dann ist der Koalitionsbruch noch während der Koalitionsgespräche absehbar. Die CDU steht vor einer großen Weichenstellung. Sie kann nach links oder rechts gehen oder in der Mitte bleiben. Die Mehrheit tendiert sicherlich dazu, dass bürgerliche Werte und eine bürgerliche Regierung das Beste für das Land ist.

Frage: Dafür braucht man aber auch eine FDP, die wieder im Bundestag vertreten ist.

KURTH: Ich nehme es außerordentlich ernst, dass wir durch die Wähler derzeit erheblich abgestraft werden, weil Erwartungen, die geweckt wurden, nicht erfüllt worden sind. Diesen Denkzettel nehme ich aber als Aufforderung an, deutlicher zu machen, um was es eigentlich geht und was diesem Land gut tut.

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16.08.2011 Pressestelle