Rentenpolitik

Wissenschaftler rechnen mit Zusammenbruch des Rentensystems

Die von der Bundesregierung beschlossene Anhebung des Rentenbeitrages und der Beitragsbemessungsgrenze stellt nicht nur die Wirtschaft und die Verbraucher vor eine schwere Belastungsprobe, Wissenschaftler gehen sogar von dramatischen Veränderungen im Rentensystem aus. Angesichts der rot-grünen Maßnahmen im Vergleich zur demografischen Entwicklung in der Bundesrepublik kommen die Wissenschaftler nur zu einem Urteil: Das Rentensystem steht am Anfang vom Ende. Wie die Internet-Ausgabe des Spiegel berichtete, gehen Wissenschaftler am Institut für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik (IBS) der Universität Bielefeld bei der jüngsten Anhebung von der Spitze des Eisberges aus und prophezeien Beitragssätze von über 40 Prozent. In wenigen Jahren wird bei gleichbleibender Vergreisung das soziale System der Bundesrepublik kollabieren, so die Berechnungen Herwig Birgs, Direktor des IBS. Damit geht das vor ca. 150 Jahren von Bismarck eingeführte Rentensystem seinem Ende entgegen. Bereits jetzt kommen auf 100 Menschen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren 43 Rentner. Rechnet man von den 100 Menschen diejenigen ab, die sich in Wehrdienst, Ausbildung, Studium oder Arbeitslosigkeit befinden, wird die Zahl derjenigen, die direkt die Umlage für die Rente finanzieren noch kleiner. Birg hat ausgerechnet, dass in nur wenigen Jahrzehnten der Rentenbeitrag auf über 40 Prozent steigen müsste, wollte man das derzeitige Rentenniveau von 64 Prozent halten. Alternativ müsste man bei gleichbleibenden Rentenabgaben, also den heutigen rund 20 Prozent, das Rentenniveau auf 30 Prozent senken. Andere Lösungsmöglichkeiten scheinen ebenfalls kaum erquicklich. Das Renteneintrittsalter könnte raufgeschraubt werden oder verstärkte Einwanderung müsste den Beitragsverlust bei der Rente ausgleichen. Allein die letzte Maßnahme reicht allein nicht aus, um die Rentenlöcher zu stopfen. Selbst bei einer ausreichenden Zuwanderung, bei derzeitigen Zahlen wären dies bis 2050 an die 188 Mio. Einwanderer, könnte der Effekt nur kurzfristig gestoppt werden. Auch junge Migranten können vergreisen, weshalb selbst bei großer Zuwanderung erst eine Geburtenrate von gut vier Kindern je Frau die heutige Rentenqualität halten könnte.
Der Rentenkompromiss der rot-grünen Regierung ist allenfalls Flickwerk. Gleich dem damaligen Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) –„Die Renten sind sicher!“ –fährt sozial-alternative Bündnis in Berlin fort. Eine Jahrhundertreform sollte es werden und nun nach Riester-Rente und Öko-(Renten-)Steuer das nächste Projekt greifen. Dabei gehen die Sozialdemokraten weitgehend ohne Rücksicht auf Verluste vor. Das als epochal angekündigte Koalitionssprogramm beweist nur äußerst kurze Haltwertigkeit. Sie ist nicht nur auf Monate oder Wochen, sondern auf Tage, zuweilen gar Stunden zusammengeschrumpft. Nun wird der kleinere Koalitionspartner dazu missbraucht, eine wirtschafts- und vor allem mittelstandsschädigende Beitragserhöhung hinzunehmen, ohne den Bürgern über die tatsächlichen Ausmaße des Rentensystems aufzuklären. Im letzten Punkt ist auch von der Union nicht viel zu erwarten, auch sie hat vor allem bei den Rentnern zahlreiche Wähler und hütet sich, drastische Maßnahmen zu verlangen. Einzig die FDP wies bereits vor der Wahl auf die Risiken des derzeitigen Systems hin und hat in ihrem Wahlprogramm einen Umbau der Sozialsysteme angemahnt.


Patrick Kurth
Büro Dr. Guttmacher


08.11.2002 Pressestelle