Barth-Gastbeitrag in der OTZ

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende UWE BARTH schrieb für die Ostthüringer Zeitung (01.02.2014) folgenden Gastbeitrag:

Mitte Dezember unterzeichneten CDU, CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag. Die Kanzlerin und ihr Vize formulierten hehre Ziele bei der Vertragsunterzeichnung. Frau Merkel ließ wissen: "Der Geist dieses Vertrags heißt, dass wir eine große Koalition sind, um auch große Aufgaben für Deutschland zu meistern." SPD-Chef Gabriel legte Wert darauf, dass der Koalitionsvertrag "ein Vertrag für die kleinen Leute" sei.

Große Worte, große Versprechen - teure Versprechen. Besonders die Rentenpläne sorgen - neben permanentem Streit innerhalb der Regierung - in den ersten Wochen für Aufsehen. Mütterrente, Rente mit 63, das klingt in der Tat zunächst danach, als sei die Große Koalition ein Anwalt der kleinen Leute. In Wahrheit haben CDU, CSU und SPD eine Ausgabenorgie gestartet, die in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos ist. Auf bis zu 160 Mrd. € beziffern Experten die Kosten allein für die Rentenpläne von Schwarz-Rot. Man weiß noch nicht genau, wie es umgesetzt werden soll. Fest dagegen steht, wer die Zeche bezahlen muss: die "kleinen Leute"! Steigende Rentenbeiträge, höhere Schulden, Steuererhöhungen werden folgen - auch das zahlen die "kleinen Leute" und ihre Kinder.

Was unter dem Etikett "Deutschlands Zukunft gestalten" beim ersten Hören nach Generationengerechtigkeit klingt, ist in Wahrheit Verrat an den nachfolgenden Generationen und Ausweis einer doppelten Moral: Union und SPD beklagen die wachsende Kinderarmut und reichen sich gleichzeitig die Hände, um unseren Kindern immer neue Lasten zu hinterlassen. Die Generationen werden kühl berechnend gegeneinander ausgespielt.

Als erste Maßnahme stoppte SPD-Arbeitsministerin Nahles die gesetzlich vorgeschriebene Absenkung des Rentenbeitrages. Frau Schwesig fordert aktuell, die fällige Kindergelderhöhung auszusetzen. So sieht es aus, wenn die SPD Verträge "für die kleinen Leute" schließt.

Besonders interessant für die Menschen in Ostdeutschland: die Angleichung der Ostrenten, die Frau Lieberknecht vor wenigen Monaten noch versprochen hat, fällt aus - im Jahr 25 der deutschen Einheit besteht noch nicht einmal Aussicht darauf, dass dieses im Einigungsvertrag gegeben Versprechen endlich eingelöst wird. Ganz im Gegenteil, die "Koalition für die kleinen Leute" zementiert die Unterschiede: die geplante Mütterrente soll in Ostdeutschland ebenfalls niedriger ausfallen.

Was bekomme ich für mein Geld, wieviel ist mein Erspartes morgen, in fünf oder in zehn Jahren noch wert? Diese Fragen stellen sich viele Menschen, egal ob sie Rente beziehen oder noch im Berufsleben stehen. Die europäische Staatsschuldenkrise hat gezeigt, dass eine stabile Währung keine Selbstverständlichkeit ist.
Egal ob in Form von "Eurobonds" oder "Schuldentilgungsfonds", wie EU-Parlamentspräsident Schulz (SPD) sie einführen will - eine dauerhafte Übernahme der Schulden anderer Staaten, die durch unsolide Politik verursacht wird, kann Deutschland auf Dauer nicht leisten. Solide Staatsfinanzen sind nicht nur eine Frage für nachfolgende Generationen, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Inflation. Dass CDU und SPD in den nächsten Jahren mindestens 16 Milliarden neue Schulden machen wollen, ist deshalb eine Gefahr für den Wert des Arbeitseinkommens, der Renten und der Ersparnisse vieler "kleiner Leute".

Soziale Gerechtigkeit ist für das Zusammenleben in unserem Land von zentraler Bedeutung. Soziale Gerechtigkeit bedeutet, Menschen, die sich in Not befinden, mit Mitteln der Allgemeinheit zu helfen. Das ist ein zentraler Punkt einer solidarischen Gesellschaft. Das ist die Ausgabeseite des Sozialsystems. Auf der anderen Seite, der Einnahmeseite, stehen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die über ihre Lohn- und Einkommenssteuern, ihre Beiträge zur Rentenversicherung und verschiedene Pflicht-Beiträge die nötigen Einnahmen erarbeiten. Niemand arbeitet aber nur für Steuern und Beiträge, Arbeit muss sich natürlich auch für den lohnen, der sie leistet. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist die, was Lohnerhöhungen für Arbeitnehmer überhaupt bringen, wenn bis zu 50% der Erhöhung an den Staat gehen? Dieser Effekt, der als "kalte Progression" bezeichnet wird und nichts weiter ist, als Ungerechtigkeit gegenüber Arbeitnehmern muss dringend beseitigt werden. Hier ist die Bundesregierung gefordert. Die SPD hat im letzten Jahr einen Vorschlag der damaligen Bundesregierung über den Bundesrat abgelehnt, auch Thüringen hat damals seine Zustimmung verweigert. Es ist an der Zeit, den "kleinen Leuten" zu zeigen, dass ihre Arbeit sich nicht nur für den Finanzminister lohnt!

Eine große Belastung für Bürger wie Unternehmen sind die hohen Strompreise, die nirgendwo so hoch sind wie in Thüringen. Paradox dabei: der Strom selbst ist günstig wie nie. Kostentreiber sind die verschiedenen gesetzlich festgelegten Entgelte, z. B. für die Stromtrassen und für die Einspeisung von Sonnen- und Windstrom in die Netze. Der unkontrollierte massive Bau von neuen Windkraftanlagen und Sonnenkollektoren treibt den Strompreis in die Höhe. Den Betreibern dieser Anlagen garantiert der Staat über gesetzliche Regelungen für viele Jahre eine festgelegte Einnahme, zahlen tun dies die Stromkunden, Unternehmen und Privathaushalte - auch hier sind das vor allem wieder die "kleinen Leute". Ein leicht umsetzbarer Schritt zur kurzfristigen Absenkung der Strompreise wäre die Senkung der Stromsteuer. Ich bezweifle aber, dass die Große Koalition gewillt oder fähig ist, die Stromkunden zu entlasten. Kein Wort davon, die Stromsteuer zu senken; kein Wort davon, die Förderung der erneuerbaren Energien auf ein marktwirtschaftliches Modell umzustellen. Hohe Strompreise werden so auch in Zukunft viele "kleine Leute", Handwerker, kleine und mittlere Unternehmen belasten.

In diesem Jahr gedenken wir dem Beginn des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren. Vor dem Hintergrund der Millionen Opfer beider Weltkriege ist es ein unschätzbares Ergebnis der europäischen Einigung, dass wir Europäer seit fast sieben Jahrzehnten friedlich zusammenleben. Bei aller Freude hilft es aber nichts, Probleme im Zusammenleben in Europa zu verschweigen. Der Neigungswinkel von Traktorensitzen, der Krümmungsradius von Gurken oder Bananen, das Glühbirnenverbot und viele absurde Dinge mehr haben "Europa" nicht beliebter gemacht. So zu tun, als hätte Europa keine Probleme ist ebenso unsinnig wie Panikmache.

Innerhalb der EU gilt das Prinzip der Arbeitsnehmerfreizügigkeit, das heißt, dass jeder Bürger eines Mitgliedsstaates in jedem anderen Staat ungehindert einer Arbeit nachgehen darf. Deutschland braucht arbeitswillige und qualifizierte Zuwanderer. Nicht nur in der Pflege und in der IT-Branche fehlt qualifizierter Nachwuchs. Auch Handwerksbetriebe, Bäcker, Fleischer, Klempner suchen händeringend motivierte junge Leute. Dass eine Regierungspartei Stimmung gegen mögliche Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien macht, könnte man als Populismus abtun. Es ist richtig: Wer ohne Aussicht auf eine Arbeit oder ohne Willen zur Aufnahme einer Arbeit nach Deutschland kommt, der darf keinen Anspruch auf Unterstützung aus den Sozialkassen erhalten. Aber wer hier arbeitet und unsere Werte anerkennt, der sollte uns willkommen sein. Regeln gegen eine "Zuwanderung in die Sozialsysteme" zu erlassen, das wäre die Aufgabe einer Regierung, davon hört man leider nichts, nicht von Herrn Seehofer, aber auch nicht von Herrn Gabriel oder Frau Merkel.

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD und die ersten Wochen der Großen Koalition im Amt zeigen: der Anspruch des Staates, der Anspruch der Koalitionäre heißt, alles für alle zu regeln. Kaum ein Lebensbereich, um den CDU, CSU und SPD sich nicht kümmern, sich nicht sorgen und nicht mit Regeln ausstatten wollen. Es gibt offenbar überall Handlungsbedarf für staatliche Eingriffe. Väter sollen aktiver werden, unser Umgang partnerschaftlicher, die Züge pünktlicher. Auch den Umgang mit der Zeit hat unsere Regierung jetzt zum Gegenstand ihres Handelns gemacht. Also unseren Umgang mit unserer Zeit! Das heißt dann "Zeitpolitik", wie und womit da genau den "kleinen Leuten" geholfen werden soll, habe ich offen gesagt bisher nicht verstanden. Ich glaube, ich will es auch nicht genauer wissen. Aber dieses Beispiel zeigt: der Gedanke, dass es im Leben von einzelnen Menschen oder Familien Bereiche geben könnte, in denen noch nicht einmal die beste Regierung der Welt etwas zu suchen hat, dieser Gedanke kommt bei CDU und SPD nicht (mehr) vor. Bei Sozialdemokraten ist das wenig überraschend, aber die freie, die bürgerliche Gesellschaft ist aus dem Kampf gegen absolute Herrschaft, aus dem Kampf gegen den allmächtige Staat entstanden. Es ist mehr als nur eine Randnotiz, dass sich die CDU von diesem Grundwert bürgerlicher Politik verabschiedet.

Große Koalitionen sind weder geeignet noch notwendig um große Aufgaben zu lösen. Dazu braucht man Ideen und politischen Willen. Bei CDU, CSU und SPD konzentriert sich dies darauf, Politik ohne Rücksicht auf nachfolgende Generationen zu machen. Wenn sich die Politik der ersten Monate der Großen Koalition bis 2017 so fortsetzt, wird es ein böses Erwachen geben. Für Arbeitnehmer, Selbständige, Handwerker und Unternehmen. Für Rentner und für unsere Kinder. Das haben sie alle nicht verdient deshalb bleibt zu hoffen, dass nicht alles, was Schwarz-Rot heute diskutiert, morgen auch wirklich Realität wird. An eine gute Regierung würde man diesen Wunsch nicht richten.

01.02.2014 Pressestelle