Überwachungsstaat

Gastkommentar in der Südthüringer Zeitung, 13.1.06, S. 2:

Der Sieg des Terrors
(von Lutz Recknagel, stv. Vorsitzender der FDP Thüringen)

"Siegt der Terrorismus über die Freiheit?" fragte ich mich bei der Lektüre des Artikels von Harald Bergsdorf in der STZ vom 10. Januar. Folgte man den Vorschlägen Bergsdorfs, so wäre die Freiheit schon fast besiegt.

'Verdächtige dürfen sich niemals und nirgendwo sicher fühlen' sagte der Jenaer Wissenschaftler und damit ist der Rechtsstaat empfindlich getroffen. Der Verdächtigte hat vielmehr bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten. Sonst droht Guantanamo auch in Deutschland. Auch sei es 'wenig verantwortungsbewusst', so Bergsdorf, Hinweise aus 'Folterverhören' zu ignorieren. Dass befreundete Staaten sich zu Menschenrechtsverletzungen hergeben muss man deutlich kritisieren, welchen diplomatischen Ton man auch immer wählt. Von den zweifelhaften Ergebnissen zweifelhafter Methoden profitieren zu wollen hieße aber Billigung und Unterstützung zu beweisen. Von Mahnungen an die Adressen anderer Unrechtsregimes müsste man dann auch Abstand nehmen. Wollen wir das?

'Polizeikontrollen' gelte es 'zu verstärken', notfalls mit Unterstützung der Bundeswehr. Wie und wo sucht man denn bei diesen Kontrollen? Trägt die Fahrerin ein Kopftuch, so möge sie den Kofferraum öffnen? Hat der Fahrgast dunkle Hautfarbe, so durchleuchtet man den Rucksack? Bei uns leben Millionen Ausländer, ob man das gut findet oder nicht. Ein Generalverdacht gegen Andersgläubige oder -denkende wäre ein Rückfall in unsägliche Zeiten.

Es gelte, 'Islamisten in ihren Wohnungen noch stärker zu kontrollieren', so Bergsdorf. Man müsse 'von jeder Moschee [...] wissen, ob dort Islamisten agitieren'. Drehen wir es doch einmal um. Rechtsradikale werden in Deutschland als gegenwärtige Bedrohung gesehen. Diese treffen sich in Gasthäusern und Jugendklubs. Also müsste folgerichtig der Staat von jeder Kneipe, jedem Jugendzentrum wissen, ob dort Radikale agitieren. Linksradikale haben in Deutschland eine Tradition des Terrors. Die Wohnungen der als tiefrot bekannten Personen müssten also überwacht werden? Abgehört werden? Oder beschattet? Das hat noch nicht einmal die Stasi, Unterdrückungsorgan der SED-Linkspartei vermocht. Deren Methoden reichten aber allemal für eine Diktatur aus.

Es komme darauf an, 'Informationen über Verdächtige international stärker zu vernetzen'. Wir leben im 21. Jahrhundert, eine europaweite Datenbank müsste also her. Die Verdächtigen müsste man bei der Einreisekontrolle aber auch erkennen können. Dafür gäbe es dann biometrische Daten im Reisepass. Verdächtige (nicht etwa nur verurteilte Straftäter) werden also abgewiesen oder beschattet? So ähnlich hat sich in der Geschichte einmal ein Staat geschützt. Mit einem "J" im Reisepass.

Wer 'ein Ausbildungslager' zum Terrorismus absolviert habe, sei vorbeugend in 'Sicherungshaft' zu nehmen. Früher hieß das einmal "Schutzhaft". Auch hier hilft der Praxistest. Wer richtet über die Grenze zwischen erlaubtem Urlaub bei Verwandten in Afghanistan und Terrorismusausbildung? Hätte man zu Zeiten real existierender sozialistischer Diktatur westdeutschen DDR-Reisenden Haft angedroht, weil es möglich war, dass sie eine Agentenausbildung erhalten haben könnten? Schließlich versteckte die Führung der SED-Linkspartei RAF-Terroristen! Wer Terroristen ausbildet, tarnt es tunlichst als Trainingslager für Sportler. Rechtfertigt dann die Schießausbildung in einem deutschen Biathlonverein die Vermutung einer Mordabsicht? Wenigstens moslemische Sportler müssten genauestens unter die Lupe genommen werden? Gesinnungsprüfung für den Sportschützen? Absurd!

Man verteidigt unsere freiheitliche Demokratie nicht dadurch, dass man die Freiheit abschafft, den Überwachungsstaat wiedereinführt und Folterregimes billigt. Unter der Behauptung einer Terrorgefahr werden Instrumente hoffähig, die längst überwunden geglaubt waren. Ist Terror nicht die Waffe der Ohnmächtigen? Ist Freiheitskampf oder Terrorismus eine Frage der Sichtweise? Katastrophal wäre es, wenn die Feinde unserer Demokratievorstellungen sich darauf berufen könnten, dass wir es mit den Freiheitsidealen und der Rechtsstaatlichkeit auch nicht so ernst meinen. Aktionismus ist nicht Sicherheit.

13.01.2006 Pressestelle / Lutz Recknagel