Familien und Steuern

Die Welt, 8.9.2007:

Staat kassiert bei Familien ab

Höhere Mehrwertsteuer und Subventionskürzungen treffen Eltern besonders hart - FDP: Belastungen bis zu 9000 Euro jährlich


Von Joachim Peter und Dorothea Siems

Berlin - Trotz offiziell ausgewiesener Rekordausgaben für die Familienförderung müssen viele Eltern in Deutschland mit immer weniger Geld auskommen. Besonders für kinderreiche Familien haben sich die Abgaben- und Steuerbelastungen seit der Regierungsübernahme von Union und SPD 2005 drastisch erhöht. Dies ist das Ergebnis detaillierter Berechnungen der FDP.

Auch Familienverbände beklagen, dass besonders die Mehrwertsteuererhöhung zu Beginn des Jahres mehrköpfige Haushalte überproportional stark trifft. "Bei großen Familien geht der Hauptteil des Einkommens in der Regel in den sofortigen Konsum", sagt der Geschäftsführer des Deutschen Familienverbands, Siegfried Stresing. Außerdem seien typische Familienprodukte wie etwa Windeln oder Spielzeug mit dem vollen Mehrwertsteuersatz belegt. Mehrere Familien haben bereits Klage gegen die Erhöhung beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

"Die Regierung rühmt sich einer Familienpolitik, die die Mehrzahl der Familien außen vor lässt und ihnen erhebliche Mehrbelastungen aufbürdet", sagte FDP-Präsidiumsmitglied Hermann Otto Solms der WELT. Es gebe Familien, die 2008 mit fast 9000 Euro weniger Einkommen auskommen müssten als 2005. Der Finanzexperte stützt seine Kritik auf Fallbeispiele.

Im ersten Fall handelt es sich um ein Alleinverdiener-Ehepaar mit einem Jahreseinkommen von 40 000 Euro sowie drei Kindern im Alter von sieben Jahren, drei Jahren und sechs Monaten. Der Weg des Vaters zur Arbeitsstelle beträgt 17 Kilometer. Die Familie plant den Bau eines Eigenheims. Das Ergebnis der Berechnung: Die Familie hat im Jahr 2008 8786,13 Euro weniger zur Verfügung als bei gleichen Verhältnissen im Jahre 2005.

Ein Grund für das Minus ist die Einführung des Elterngeldes zu Beginn des Jahres, das das bisherige Erziehungsgeld ersetzt hat. Früher hätte die Familie nach der Geburt des dritten Kindes zwei Jahre lang Anspruch auf Erziehungsgeld in Höhe von 300 Euro im Monat gehabt. Jetzt erhält diese Familie das Elterngeld in Höhe von 300 Euro - aber nur noch für einen Zeitraum von zwölf Monaten. Die neue Familienleistung ist als Lohnersatzleistung konzipiert. War die Mutter vor der Geburt des jüngsten Sprösslings nicht berufstätig - wie dies bei zwei von drei Müttern mit kleinen Kindern der Fall ist -, erhält sie nur den Mindestbetrag. Die Einführung des Elterngeldes lässt das Familieneinkommen im Fallbeispiel um 3600 Euro sinken.

Als Folge des von Schwarz-Rot beschlossenen Wegfalls der Eigenheimzulage entgehen der Familie acht Jahre lang jeweils 3650 Euro, insgesamt 29 200 Euro. Berücksichtigt wurden in Solms' Rechnung schließlich auch die Veränderungen bei den Beiträgen zur Sozialversicherung sowie bei den Steuern. Vor allem die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte zu Beginn des Jahres reißt ein Loch ins Portemonnaie der Eltern. Auch die Kürzung der Pendlerpauschale und die Halbierung des Sparerfreibetrags schlagen zu Buche. Es kommt damit zu einer weiteren Belastung der Familie in Höhe von 1536,13 Euro pro Jahr.

Im zweiten Fallbeispiel des FDP-Politikers Solms muss eine nicht eheliche Lebensgemeinschaft ein Minus von 1120,79 Euro verkraften. Ein Beamter (Jahresgehalt: 35 000 Euro) bekommt mit seiner Lebensgefährtin, die mit einem Minijob jährlich 4800 Euro verdient, im Mai 2007 ein zweites Kind. Das ältere wurde im November 2004 geboren. Da zwischen den Geburten weniger als drei Jahre liegen, steht der Mutter ein halbes Jahr lang beim Elterngeld ein Geschwisterbonus von 75 Euro monatlich zu.

Im dritten Beispiel bekommt eine Alleinerziehende ein zweites Kind. Das erste Kind wurde 2003 geboren. Die Frau hat ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis. Auch diese Familie aus dem unteren Einkommensbereich zählt zu den Verlierern. Sie hat 372,60 Euro weniger zur Verfügung.

Die Regierung hält den Kritikern entgegen, dass das neue Elterngeld und die Ausweitung der steuerlichen Absetzbarkeit der Betreuungskosten den Fiskus jährlich rund 1,7 Milliarden Euro kosten. Doch nach Berechnungen der Familienverbände belastet allein der Wegfall der Eigenheimzulage Familien jährlich mit 3,8 Milliarden Euro, die Kürzung der Pendlerpauschale schlägt mit 2,5 Milliarden zu Buche, die Streichung von Familienkomponenten im öffentlichen Dienst mit rund vier Milliarden Euro, die Kürzungen beim Kindergeld mit 534 Euro. Hinzu kommt die Anhebung Mehrwertsteuer, die auch nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Familien stärker belastet als die Kinderlosen.

09.09.2007 Pressestelle