Bildungspolitik
Vertreter der Landes- und Kreis-FDP
Vertreter der Landes- und Kreis-FDP

Die neue Schulordnung in Thüringen ist beschlossene Sache. In einer Podiumsdiskussion äußerten Vertreter der Landes- und Kreis-FDP ihre Bedenken zur Umsetzung.

von Daniela Löffler

Sonneberg- Längeres gemeinsames Lernen, Integration, individuelle Förderung, Gemeinschaftsschule. Mit der neuen Schulordnung in Thüringen wird sich künftig einiges für die Schüler, aber vor allem für die Lehrer ändern. "Die Zukunft unserer Kinder ist die Zukunft unserer Gesellschaft." Mit diesen Worten eröffnete Heinz Werner Hübner vom FDP-Ortsverband Steinach die vom FDP-Kreisverband Sonneberg organisierte Podiumsdiskussion am Donnerstagabend im kleinen Saal des Gesellschaftshauses Sonneberg. Der Debatte stellten sich Franka Hitzing, Vizepräsidentin des Thüringer Landtags, bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Thüringer Landtag sowie selbst Lehrerin, MdL Marian Koppe, sozial- und familienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag, sowie Roul Rommeiß, Sprecher der Landeselternvertretung Thüringen. Hübner, selbst Lehrer, moderierte die Veranstaltung und stellte sofort die wichtigsten Fragen: "Warum wurde eine neue Schulordnung notwendig, und was soll dadurch besser werden?"

Umsetzung fraglich

Das im vergangenen Jahr verabschiedete neue Schulgesetz für den Freistaat habe unweigerlich eine neue Schulordnung nach sich gezogen, sagte Hitzing. Knapp erläuterte sie den Werdegang und betonte die Kurzfristigkeit, mit der das Projekt umgesetzt werden soll. "Den Lehrern bleibt einfach zu wenig Zeit, die neue Schulordnung vor Ort umzusetzen", so die Mandatsträgerin. Ginge es nach den Liberalen, hätte Kultusminister Christoph Matschie (SPD) noch bis zum kommenden Jahr mit der Einführung warten sollen, um eine entsprechende Umsetzung an der Basis, den Schulen im Freistaat, möglich zu machen. "Diesen Vorschlag von unserer Seite hat die Landesregierung jedoch ignoriert", kritisierte Hitzing. Ob diese Vorgehensweise als "demokratischer Zentralismus" bezeichnet werden könne, wollte Hübner wissen. Seiner Meinung nach werde hier etwas aufgestülpt, was dann andere auszubaden hätten. "Das Prozedere des Zustandekommens trägt tatsächlich zentralistische Züge", stimmte Rommeiß zu. Vor allem bei vielen Eltern sei diese Vorgehensweise auf Widerstand gestoßen. "Die Einführung der Gemeinschaftsschule als neue Schulform soll laut SPD mit einer höheren Individualisierung einhergehen", erklärte er. Dies sei keineswegs zu kritisieren, aber "individuelle Förderung zum Nulltarif wird es nicht geben können".

Auch Hitzing pflichtete der angestrebten integrativen Beschulung bei. Neben der Errichtung von Gemeinschaftsschulen sei der Rechtsanspruch auf individuelle Förderung in der Schulordnung verankert. Zwar gebe es nach Statistiken des Bildungsministeriums zu viele Lehrer in Thüringen, die Praxis sehe jedoch anders aus. Hitzing plädierte für einen gesunden Altersdurchschnitt der Lehrerschaft und eine Grundsatzdiskussion zum Thema Lehrerabwanderung. "Integration ist nur bis zu einem gewissen Grad möglich", fasste Koppe zusammen. Neben entsprechendem Fachpersonal müssten auch die räumlichen Voraussetzungen für eine solche Betreuung geschaffen werden. "Man kann nicht einfach etwas verordnen und dann schauen, wer wie was umsetzt", so der Landtagsabgeordnete.
Seit 20 Jahren hätten sich die Lehrer im Landkreis Sonneberg um ihre Schüler gekümmert und individuelle Förderung lebensnah praktiziert, sagten sowohl Wilfried Luther, zweiter Beigeordneter von Landrätin Christine Zitzmann und Leiter der Bürgerschule Sonneberg, sowie Traudel Garg, Stadträtin, Vorsitzende des Bildungsausschusses des Kreistags und Lehrerin im Ruhestand. "Anders kann auch schlechter heißen", kommentierte Luther die Aussage von Rommeiß, der die neue Schulordnung nicht als "schlechter, sondern anders" bezeichnet hatte. "Mir fehlt der intensive Kontakt zu den Eltern", ergänzte Garg. Individuelle Förderung sei zwar zu DDR-Zeiten kein Rechtsanspruch gewesen, wurde aber nach Hübners Meinung praktiziert.

"Wir dürfen diese Zeit nicht verklären", entgegnete Rommeiß. Er selbst habe vom Schulsystem der DDR profitiert. "Doch die Strukturen haben sich seitdem geändert", betonte der Landeselternsprecher. Er plädierte für ein angemessenes Schrittmaß, wonach jede Schule die Umsetzung der neuen Regelungen selbst bestimmen sollte. Der Lehrer-Eltern-Problematik stimmte er zu, es gebe durchaus viele engagierte Mütter und Väter, aber auch solche, die sich komplett aus dem Schulalltag ihrer Kinder zurückzögen. Doch auch hierauf habe Matschie keine Antwort parat.

Harsche Kritik

Ihrem Unmut über die aktuelle Situation machten auch die beiden Sonneberger FDP-Stadträte Rolf Schwämmlein und Volker Wunder Luft. Als Laie könne Schwämmlein die Diskussion nicht nachvollziehen. "Das ist doch ein Zeichen von Weltfremdheit im Ministerium", sagte er. "Es kann nicht sein, dass die Praktiker nicht mit ins Boot geholt wurden bei einer solchen Entscheidung." Wunder hingegen meinte, man habe am verkehrten Ende angefangen. "Jede Schule kann machen, was sie will", erklärte er. Seine eigenen Kinder hätten bis zum Schulabschluss drei Modellversuche durchstehen müssen. "Das Ergebnis muss doch der gebildete Mensch sein, der auch Respekt vor der Arbeit anderer und vor dem Alter hat." Hitzing erklärte das Konzept der Gemeinschaftsschule. "Es wird Noten und mündliche Einschätzungen geben, von denen ich persönlich jedoch nicht viel halte", sagte sie. "Kinder müssen und wollen sich vergleichen und auch gefordert werden. Wir dürfen uns nicht vor einer Wertediskussion scheuen und müssen den Pfad der uns vorgeworfenen Kuschelpädagogik verlassen", verlangte die Mandatsträgerin. "Auf Teufel komm raus zu experimentieren, kann nicht zugunsten der Kinder gehen, die doch gerade in Sachen Bildung an oberster Stelle stehen müssen. Doch der Bildungsföderalismus in Deutschland lässt dies zu." Nach Meinung Koppes habe die Landesregierung, insbesondere Staatssekretär Roland Merten, mit der neuen Schulordnung einfach nur einen Haken hinter etwas setzen wollen, dass einst versprochen wurde. "Da ist viel Ideologie dabei", sagte der Politiker. "Wenn ich wirklich etwas ändern will, dann nehme ich mir auch die Zeit dafür."

Infos zur neuen Schulordnung und Gemeinschaftsschule gibt es im Internet unter www.thueringen.de/de/tmbwk/bildung/gemeinschaftsschule/konzept/content.html.

02.07.2011 Freies Wort