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Dirk Niebel
Dirk Niebel

Berlin. FDP-Generalsekretär DIRK NIEBEL schrieb für den "Rheinischen Merkur" (aktuelle Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Haste ma´ne Mark?


Deutsche Sozialpolitik ist gut gemeint und schlecht gemacht


In der Berliner Chausseestraße gibt es einen Supermarkt, vor dem sitzt oft ein Bettler. Vor ihm liegt ein abgewetzter Hut für die milde Gabe. Tag für Tag wiederholt sich die Szene tausendfach in Deutschland. In Berlin genauso wie in Gelsenkirchen, Dresden, Würzburg oder Kiel. Und immer gleich sind die Reaktionen der vorbeihastenden Passanten. Die einen wenden verschämt den Blick zur Seite, ignorieren den Bettler und eilen mit schlechtem Gewissen weiter. Die anderen kramen in ihren Taschen, nicht minder beschämt, und werfen ein paar Cent in den Hut. So edel die Motive sein mögen, auch die freundlichen Spender wissen, dass sie eher ihr schlechtes Gewissen beruhigt haben, als dem Bettler wirklich geholfen. Der Bettler wird morgen wieder hier oder irgendwo sitzen, vor ihm der gleiche alte Hut. Nur die Passanten wechseln.

Vater Staat ähnelt dem Spender: ein edles Motiv, keine nachhaltige Wirkung. Meist glaubt die Politik, auf jeden sozialen Missstand mit dem Versprechen neuer staatlicher Leistungen antworten zu müssen. Heute verwalten rund 40 verschiedene staatliche Stellen mehr als 130 unterschiedliche steuerfinanzierte Sozialleistungen. Der aktuelle Armutsbericht der Bundesregierung lässt erhebliche Zweifel an der Effizienz dieser Verteilungsmaschinerie aufkommen. Mehrwertsteuererhöhung, kalte Progression und gestiegene Energiepreise haben dem Staat ein Einnahmeplus in Milliardenhöhe beschert. Gleichzeitig sehen sich die Menschen erheblichen finanziellen Problemen ausgesetzt, mehr und mehr auch solche, die bislang nie damit gerechnet haben. Verbessern also höhere Staatseinahmen die soziale Situation in Deutschland? Wir erleben das krasse Gegenbeispiel. Es ist wie mit dem Bettler vor dem Supermarkt. Die Almosen im Hut werden nie für ein Leben in Würde reichen. Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht.

Sozialpolitik braucht Herz, ohne Frage. Gute Sozialpolitik braucht auch Verstand. Geld allein, die Summe der Zuwendungen sichert keine Teilhabe. Was der Sozialstaat leisten kann und muss, das ist zuallererst eine effiziente Bildungspolitik. Bildung ist die elementare Voraussetzung für Freiheit. Bildung sichert Leistungsfähigkeit. Bildung ist entscheidend für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt. Bildung schafft die Voraussetzung für ein Leben in Freiheit und Würde auf einer gesicherten materiellen Basis. Gut ausgebildete Menschen laufen weniger Gefahr, dauerhaft auf staatliche Leistungen angewiesen zu sein. Bildung vermittelt aber auch Werte wie Verantwortungsgefühl, Gemeinsinn, Toleranz und Fähigkeiten wie Kreativität und Flexibilität. Ein Gemeinwesen auf der Basis der Sozialen Marktwirtschaft verkümmert ohne ausreichende Bildung.

Sozialpolitik braucht ein effizientes Zusammenspiel von Steuern und sozialer Sicherung. Steuersysteme sind auch immer ein Maß dafür, ob und wie ein Staat die Leistung seiner Bürger anerkennt. Wer Geld verdient für sich und die Menschen, für die er Verantwortung trägt, hat die Anerkennung des Staates verdient. Ein niedriges, gerechtes und einfaches Steuersystem würdigt die Leistung dieser Bürger. Das aktuelle deutsche Steuersystem ist nicht sozial. Es würdigt allenfalls die Leistung eines guten Steuerberaters. Ein gerechtes Steuersystem sichert die Existenz desjenigen, der das Geld verdient, und die Existenz derjenigen, für die er Verantwortung trägt. Es ist nicht einzusehen, warum das Existenzminimum für Kinder in Deutschland nicht steuerfrei bleibt. Wer dagegen verstößt, diskreditiert nicht nur die Erwerbsarbeit, sondern auch die Erziehungsleistung der Eltern. Ein Kinderfreibetrag unterhalb des allgemeinen Existenzminimums ist nicht mehr als ein sozialpolitisches Feigenblatt.

Ein gutes Sozialsystem sichert nicht nur die materielle Existenz, sondern wahrt die Würde der Menschen. Für die meisten ist es schon demütigend genug, überhaupt auf soziale Leistungen angewiesen zu sein, sich als Bittsteller zu fühlen. Darüber aber gleich an mehreren Stellen Rechenschaft ablegen zu müssen, trägt erst recht nicht zur Steigerung des Selbstwertgefühls bei. Deshalb ist es wichtig, die steuerfinanzierten Leistungen zusammenzufassen und als - sagen wir - Bürgergeld vom Finanzamt auszahlen zu lassen. Unerlässlich ist es, über ausreichende Freibeträge Anreize zu schaffen, eine Arbeit aufzunehmen und schließlich sein Leben wieder komplett aus eigener Kraft zu meistern.

Wer ein Sozialsystem verspricht, das auf Dauer die Existenz seiner Bürger bedingungslos sichern soll, der täuscht alle - jene, die dieses System stützen will, und jene, die es finanzieren. Es ist gut gemeint, aber überfordert. Irreale Sozialpolitik ist und bleibt ein Reparaturbetrieb. Moderne Sozialpolitik eröffnet Chancen. Je mehr sie nutzen können, desto mehr kann jenen geholfen werden, die dazu wirklich nicht in der Lage sind. Wer dem Bettler 10 Euro in den Hut wirft, mag ihm für ein oder zwei Tage den Lebensunterhalt sichern. Ein Leben in Freiheit und Würde sichert er ihm nicht. Der Staat und das Gemeinwesen sind stark, die das beherzigen.