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Koch-Mehrin
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KOCH-MEHRIN-Interview für die "Oldenburger Volkszeitung" (08.11.2008)

Brüssel/Berlin. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) und Vorsitzende der FDP im Europaparlament, DR. SILVANA KOCH-MEHRIN, gab der "Oldenburger Volkszeitung" (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte GIORGIO TZIMURTAS:

Frage: Frau Koch-Mehrin, die Finanzmarktaufsicht soll global neu geregelt werden. Mal ganz grundsätzlich: War es in erster Linie ein Systemfehler, der zu der Krise geführt hat oder fehlender Anstand?

KOCH-MEHRIN: Ich glaube, dass ist ein bisschen wie bei dem Huhn und dem Ei. Das System hat Fehler. Es hat viel zu lange weiter bestehen können, obwohl sich die Welt rasant geändert hat. Wenn ein System nicht mehr in Ordnung ist, dann zieht es natürlich auch Leute an, die einen Nutzen daraus ziehen wollen. Dann gibt es auch einzelne Personen, die große Macht haben und das System missbrauchen, indem sie die Regeln des Anstands und des ehrbaren Kaufmanns verlieren und nur noch schnell ans große Geld kommen wollen.

Frage: Der Tenor der französischen Vorschläge zur Reform des globalen Finanzsystems lautet: mehr Kontrolle, mehr Regulierung, mehr Transparenz. Gibt es Punkte des Papiers, die Ihnen zu weit gehen oder zu kurz greifen?

KOCH-MEHRIN: Die Punkte mehr Transparenz und mehr Regulierung - im Sinne von mehr gemeinsamer internationaler Regulierung - finde ich richtig. Jetzt haben wir vor allem nationale Regulierungen und Aufsichtsstrukturen. Das passt nicht zu den Finanzmärkten, die längst ganz selbstverständlich international sind. Mir gehen die Punkte zu weit, wo es darum geht, eine ´Wirtschaftsregierung" zu schaffen, die zum Beispiel die Unabhängigkeit der Zentralbanken in Frage stellt oder die auch den Wettbewerb so verändern will, dass Subventionen für Staatsunternehmen möglich werden. Das geht in die falsche Richtung.





Frage: Im Papier der französischen Ratspräsidentschaft ist auch der Kampf gegen die Gesetzgebung formuliert, die so genannte Steueroasen ermöglicht. Wie aussichtsreich ist das?

KOCH-MEHRIN: Versuchen muss man es in jedem Fall. Man kann natürlich kein Land zwingen, die Regeln anzunehmen, weil dies auf Freiwilligkeit beruht. Wenn keine Einigung erzielt werden kann, dann kann man jedoch den umgekehrten Weg gehen: Bei Fonds und Finanztiteln muss man durch mehr Transparenz klar machen, wo solche Produkte aufgelegt sind und verwaltet werden. Wenn da beispielsweise die Cayman-Inseln angeführt sind, dann wissen das in Zukunft die Verbraucher und werden darauf aufmerksam, dass es ein entsprechendes Risiko gibt.

Frage: Eine globale Aufsicht der Finanzmärkte - wie immer sie künftig aussehen wird - beruht auf einer Koordinierung der nationalen Maßnahmen. Blicken wir mal auf die EU allein. Halten Sie es für notwendig, dass die Mitgliedsstaaten hier Souveränität abgeben, damit es eine übergeordnete Kompetenz hierfür gibt?

KOCH-MEHRIN: Ja, das halte ich innerhalb der EU für wichtig. Wir haben ja auch den gemeinsamen Markt. Wir haben in den meisten Ländern den Euro als gemeinsame Währung, der von weiteren EU-Staaten in den nächsten Jahren eingeführt wird. Es ist absolut wichtig, dass wir gemeinsame Aufsichtsstrukturen schaffen. Ich wünsche mir, dass es mehr gibt als nur eine bessere Abstimmung zwischen den nationalen Behörden. Und das sollte bei der Europäischen Zentralbank angesiedelt sein. Entsprechende Vorschläge gibt es sowohl vom Europäischen Parlament als auch von der EU-Kommission. Und ich fände es richtig, wenn man sich traut, diesen Schritt zu machen. Dann würde die EU mit mehr Glaubwürdigkeit und Durchsetzungskraft mit den USA und anderen internationalen Partnern verhandeln können.

Frage: Bedeutet das andererseits nicht ein Zuwachs an EU-Bürokratie, was Ihnen als Liberale missfallen müsste. Oder halten Sie den Grundsatz "Europa kontrolliert die nationalen Kontrolleure" für ausreichend?

KOCH-MEHRIN: Wenn man 27 einzelne Aufsichten sehr stark reduziert, indem man eine gemeinsame schafft, wie es das bereits im Wettbewerbsrecht gibt, dann heißt das nicht, dass man mehr Bürokratie bekommt. Die nationalen Unterschiede sollten zudem beseitigt werden, weil sie zum Schaden der Verbraucher sind, wie man jetzt sieht. Wenn man den großen Wurf nicht wagt, was ich sehr bedauern würde, wäre als erster Schritt denkbar, dass man sich in den verschiedenen Behörden stärker untereinander abstimmt. Wenn man sieht, dass es gut funktioniert, sollte man sagen: In ein paar Jahren schaffen wir es, dass wir eine gemeinsame Aufsichtsstruktur haben.

Frage: Bundeskanzlerin Angela Merkel propagiert seit längerem eine europäische Rating-Agentur. Ist solch eine Einrichtung erforderlich?






KOCH-MEHRIN: Ich halte es für richtig, dass man Rating-Agenturen kontrolliert. Wir haben jetzt den Interessenkonflikt, dass die bestehenden Rating-Agenturen gleichzeitig beraten und bewerten. Ob man eine Rating-Agentur der EU einrichten sollte, muss man diskutieren. Ich habe aber immer ein Problem damit, eine neue Behörde zu schaffen,
wenn man die Dinge in der Privatwirtschaft regeln kann - mit entsprechenden Gesetzen, die die Qualität der Anbieter kontrollieren.

Frage: Im Zuge der globalen Neuordnung des Finanzmarktwesens soll auch der Internationale Währungsfonds (IWF) gestärkt werden. Wie stehen Sie dazu?

KOCH-MEHRIN: Es ist sinnvoll, dass man existierende Einrichtungen stärkt anstatt neue zu schaffen. Es darf aber nicht so weit gehen, dass man sagt: Wir brauchen jetzt eine Wirtschaftsregierung.

Frage: In Folge der Finanzkrise gibt es immer mehr Stimmen, die nach einer Erweiterung der G-8-Staaten um Brasilien, Indien und China verlangen. Ebenso gibt es die Meinung, dass die G-20-Runde an die Stelle der G-8-Staaten treten sollte. Was ist Ihre Auffassung?

KOCH-MEHRIN: Es ist ganz wichtig, dass man die rasant wachsenden Länder mit einbezieht. Kapital ist schnell und mobil. Wenn beispielsweise in den USA gesehen wird, dass die EU-Länder sich auf bestimmte Maßnahmen einigen, dann wird das Geld eben sehr schnell woanders hin transferiert. Ich halte es auch für überlegenswert, dass die EU künftig als eine Verhandlungspersönlichkeit bei den G-8- oder G-20-Staaten auftritt. So wie es bei der Welthandelsorganisation (WTO) schon ist. Das würde die EU auch noch mal stärken.