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Interview
FDP-Chef Guido Westerwelle
FDP-Chef Guido Westerwelle

WESTERWELLE-Interview für die "Aachener Zeitung" (29.04.2009)


Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Aachener Zeitung" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten GEORG MÜLLER-SIECZKAREK, PETER PAPPERT und MARCO ROSE:

Frage: Herr Westerwelle, am 23. Mai wählt die Bundesversammlung den Bundespräsidenten. Wird das spannend?

WESTERWELLE: Jede Bundespräsidentenwahl ist spannend, auch wenn sie dieses Mal im ersten Wahlgang für Horst Köhler ausgehen wird. Er hat es verstanden, ganz unaufgeregt die politische Diskussion in Deutschland zu prägen. Und er ist zu Recht bei 80 Prozent der Deutschen als Bundespräsident gewünscht.

Frage: Angesichts der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise wächst in der Bevölkerung der Unmut. Verstehen Sie die Stimmungslage?

WESTERWELLE: Ja. Wir haben einen Staat, der zwar jeden Rauchkringel gesetzgeberisch vermisst, aber bei der Bankenkaufsicht trotz großer Behörden jahrelang weggesehen hat. Wir haben einen fetten Staat, der seine Aufgaben nicht mehr ausreichend erledigt. Darüber ärgern sich viele Menschen.

Frage: Wenn die Lasten der Krise verteilt werden: Worauf muss die Politik achten?

WESTERWELLE: Darauf, dass es gerecht zugeht.

Frage: Was bedeutet gerecht für Sie?

WESTERWELLE: Gerecht wäre es, wenn eine Politik, die die Mittelschicht immer mehr belastet, beendet wird. So gesehen ist das gegenwärtige Krisenmanagement der Bundesregierung ungewöhnlich ungerecht.

Frage: Manche warnen vor der Gefahr sozialer Unruhen. Sie auch?

WESTERWELLE: Die Regierung redet über Heuschrecken und Hartz IV, aber das ist nicht Deutschland. Noch vor zehn Jahren machte die Mittelschicht zwei Drittel der Gesellschaft aus, heute ist es gerade einmal noch die Hälfte. Fünf Millionen Menschen sind seitdem nach unten durchgereicht worden. Fakt ist: Die normalen Leute können sich das normale Leben in Deutschland kaum noch leisten. Ein paar autonome Kriminelle in Berlin, die Autos anderer Leute anzünden, sind keine soziale Bewegung. Aber der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft funktioniert dann nicht mehr, wenn die Mittelschicht weiter schrumpft.

Frage: Was passiert dann?

WESTERWELLE: Dann erleben wir in der Tat die Spaltung der Gesellschaft, die heute von links herbeigeredet wird.

Frage: Eigentlich müssten Sie dann ein Befürworter von Mindestlöhnen sein.

WESTERWELLE: Im Gegenteil! Die Politik der staatlichen Zwangslohnfestsetzung arrangiert sich mit zu hohen Steuern und Abgaben. Was nutzt einem Arbeitnehmer ein höherer Brutto-Mindestlohn, der auf dem Papier steht, wenn die Regierung netto immer weniger übrig lässt? Entscheidend ist, dass derjenige, der sich anstrengt, auch mehr nach Hause bringt. Laut OECD muss ein durchschnittlicher deutscher Arbeitnehmer bis zu 52 Prozent seines Einkommens abgeben. In meinem Geburtsjahr 1961 war es ungefähr ein Drittel. Ausgerechnet eine Partei wie die SPD, die 2005 mit ihrer Mehrwertsteuerlüge den Menschen das Geld aus der Tasche gezogen hat, macht sich heute für Mindestlöhne stark. Das ärgert mich enorm!

Frage: Unternimmt die Regierung genug zur Bekämpfung der Krise?

WESTERWELLE: Nein. Bei Opel inszenieren sich Kanzlerin und Vizekanzler medienwirksam, aber zu einem Mittelständler wie dem Autozulieferer Karmann kommt schon keiner mehr. Die milliardenteure Abwrackprämie erhält natürlich den Beifall der Automobilverbände, aber gleichzeitig gehen hunderte mittelständische Gebrauchtwagenhändler den Bach runter. Nach dem Motto: Zu den Großen kommt der Bundesadler, zu den Kleinen der Pleitegeier. Darüber raufen sich viele Bürger zu Recht die Haare.

Frage: Finanzminister Steinbrück meldet die größte Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik, und Ihre Partei fordert Steuerentlastung in Höhe von 35 Milliarden Euro. Wie passt das zusammen?

WESTERWELLE: Wenn Herr Steinbrück behauptet, wir haben für alles Geld, nur nicht für die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, dann ist das einfach nur grotesk. Ein faires Steuersystem gefährdet nicht die Staatsfinanzen, sondern ist vielmehr die Voraussetzung für gesunde Haushalte.

Frage: Ein besseres Steuersystem haben schon viele versprochen.

WESTERWELLE: Sicher, das wird kein Spaziergang, das ist eine Herkulesaufgabe für eine ganze Legislaturperiode. Aber es geht, ohne dass mehr Schulden gemacht werden müssen. Jedes Jahr werden in Deutschland rund 350 Milliarden Euro durch Schwarzarbeit erwirtschaftet - das ist mehr als der gesamte Bundeshaushalt. Das Ziel, zehn Prozent davon durch ein faires Steuersystem zurückzuholen, ist gar nicht einmal so ehrgeizig, aber das würde die Staatsfinanzen sprudeln lassen. Dies ist nur ein Beispiel: Wir haben 400 Punkte aufgelistet, wo der Staat Jahr für Jahr Geld verplempert.

Frage: Warum ist eine Steuerreform bislang immer gescheitert?

WESTERWELLE: Weil es am Mut fehlt. Politiker, die sagen: Wir können etwas nicht durchsetzen, weil uns die bösen Lobbyisten im Nacken sitzen - die sollen ihr Mandat zurückgeben und in ihren Beruf zurückkehren, wenn sie denn einen erlernt haben.

Frage: Wenn man Ihnen vor einem Jahr gesagt hätte: Im Frühjahr 2009 reden wir über Verstaatlichungen und Enteignungen. Was hätten Sie geantwortet?

WESTERWELLE: Nur wenn Oskar Lafontaine Kanzler ist.

Frage: Nun heißt die Kanzlerin aber Angela Merkel.

WESTERWELLE: Diese Entwicklung ist erschreckend. Das zeigt, wie wenig die Soziale Marktwirtschaft bei führenden Kräften der Union noch zählt.

Frage: Was hätten Sie denn mit der Hypo Real Estate gemacht?

WESTERWELLE: Statt Enteignung zu beschließen hätte man eine Kapitalerhöhung vornehmen können. Das wäre der richtige Weg gewesen. Stellen Sie sich einmal vor, die russische Duma würde ein Gesetz zur Enteignung eines deutschen Investors beschließen. Was glauben Sie, was dann hier los gewesen wäre? Und zwar völlig zu Recht. Enteignungen werden auf Dauer zu einem unglaublichen Schaden für die Soziale Marktwirtschaft führen. Wie will man denn Oskar Lafontaine eigentlich entgegentreten, wenn eine unionsgeführte Bundesregierung so handelt?

Frage: Sie werden die Union im Herbst auf den Pfad der marktwirtschaftlichen Tugend zurückführen.

WESTERWELLE: Nicht wir, sondern die Wähler.

Frage: Und dann Sie.

WESTERWELLE: Die Wähler werden hoffentlich für eine schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag sorgen. Es gibt übrigens auch weite Teile in der Union, die sich nicht in der so genannten großen Koalition einrichten wollen. Das sind gute Verbündete für die FDP. Ich bin mir sicher: Im Herbst wird die politische Achse in Deutschland wieder mehr in die Mitte verschoben. Die Menschen spüren: Nicht jeder, der eine rote Fahne trägt, tut etwas für soziale Gerechtigkeit