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Interview
FDP-Bundesvorsitzender Dr. Guido Westerwelle
FDP-Bundesvorsitzender Dr. Guido Westerwelle

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Bild am Sonntag" (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten MICHAEL BACKHAUS, ROMAN EICHINGER und ANGELIKA HELLEMANN:

Frage: Herr Bundesaußenminister, Donnerstag sind vier deutsche Soldaten in Afghanistan gefallen, am Karfreitag waren es drei. Sind wir noch Herr der Lage in Nordafghanistan?
WESTERWELLE: Die Lage ist sehr ernst und sehr gefährlich. Da gibt es nichts zu beschönigen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir gemeinsam mit der großen Mehrheit der Afghanen gegen den Terror und für eine friedliche Entwicklung ihres Landes kämpfen.
Frage: Man gewinnt aber zunehmend den Eindruck, dass die Taliban Jagd auf unsere Soldaten machen und diese dem wehrlos ausgesetzt sind, sobald sie ihre Stellungen verlassen . . .
WESTERWELLE: Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr tun in Afghanistan unter schwierigsten Bedingungen einen sehr gefährlichen Dienst. Deshalb verdienen sie all unseren Rückhalt und unsere Unterstützung. Wir trauern mit den Angehörigen der Verstorbenen und sind in Gedanken bei den Verletzten und ihren Familien.


Frage: Aus der Truppe sind seit Langem Klagen über ihre Ausrüstung zu hören, beispielsweise darüber, dass die Munition die in Afghanistan üblichen Lehmwände nicht durchdringt oder dass es an Hubschraubern fehlt. Wird die Regierung jetzt sicherstellen, dass die Bundeswehr mit dem besten Material ausreichend ausgerüstet wird?
WESTERWELLE: Unsere Soldaten sollen die bestmögliche Ausrüstung bekommen, die sie benötigen. Bundeswehr und Bundesregierung werden alles tun, um das sicherzustellen.
Frage: Beim Afghanistan-Einsatz gibt es inzwischen eine erhebliche Begriffsverwirrung: Losgezogen ist die Bundeswehr in eine Aufbaumission, jetzt ist von kriegsähnlichen Zuständen die Rede, Verteidigungsminister Guttenberg spricht sogar von Krieg. Was gilt denn nun?
WESTERWELLE: Ich habe für die Bundesregierung im Deutschen Bundestag erklärt, dass es sich um einen bewaffneten Konflikt handelt. Das mag manchem nicht gefallen haben, aber so gefährlich ist die Lage. Etwas Gefährlicheres gibt es im Völkerrecht nicht. Im vollen Bewusstsein dieser Tatsache hat eine große Mehrheit im Bundestag einschließlich großer Teile der Opposition der Verlängerung des Afghanistan-Mandats zugestimmt.
Frage: Aber warum reden dann so viele in Berlin von Krieg - bis hin zur Kanzlerin?
WESTERWELLE: Auch ich verstehe jeden Soldaten, der die Zustände als Krieg empfindet. Gleichwohl ist die Lage als bewaffneter Konflikt präzise beschrieben. Krieg ist traditionell eine militärische Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehr Staaten mit der Absicht der Eroberung oder Unterdrückung. Das ist in Afghanistan erkennbar nicht der Fall. Wir sind auf Bitten der Vereinten Nationen, auf Wunsch der gewählten Regierung und der übergroßen Mehrheit der Afghanen dort.
Frage: Jetzt werden Forderungen nach einem Abzug wieder lauter. Wie lange bleiben wir am Hindukusch?
WESTERWELLE: Wir wollen nicht auf Dauer in Afghanistan bleiben. Im kommenden Jahr wollen wir in den Regionen, wo dies schon möglich ist, die Verantwortung an die Afghanen übergeben. Dann können wir Ende 2011 mit der Reduzierung unseres Kontingents beginnen. Schließlich wollen wir bis 2014 die Sicherheitsverantwortung vollständig an die afghanische Regierung übergeben. Aber ein kopfloser Abzug wäre falsch. Denn dann hätten die Terroristen am Tag danach wieder das Sagen. Und dann würden schon bald wieder in Afghanistan Terroranschläge gegen uns und unsere Verbündeten geplant und ins Werk gesetzt. Das ist nicht im Interesse unserer Bürger.
Frage: US-General McChrystal kommt nächste Woche nach Berlin und wird mehr Kampfeinsätze von der Bundeswehr verlangen. Was sagen Sie ihm?
WESTERWELLE: Wir haben Anfang des Jahres in London ein gemeinsames Afghanistan-Konzept beschlossen. Das sieht vor, dass wir künftig sehr viel stärker auf den zivilen Aufbau setzen, der natürlich militärisch abgesichert werden muss. Die Afghanen wollen die Sicherheit in ihre eigenen Hände nehmen. Deshalb werden wir die Ausbildung einheimischer Sicherheitskräfte ausbauen. Diesem Konzept haben in London sämtliche 70 Delegationen aus der ganzen Welt zugestimmt, auch die USA.
Herr Minister, kennen Sie schon den neuen Drei-Stufen-Steuertarif der FDP?
WESTERWELLE: Wieso neu?
Frage: Die Stufen lauten: Steuerentlastung von 35 Milliarden pro Jahr im Wahlkampf versprochen, 24 Milliarden im Koalitionsvertrag vereinbart, nur noch 16 Milliarden im eigenen Konzept festgelegt. Wie weit lassen Sie sich noch herunterhandeln?
WESTERWELLE: Die FDP wollte die Bürger ursprünglich um 35 Milliarden Euro entlasten. Mit der Union konnten wir uns im Koalitionsvertrag auf 24 Milliarden verständigen. Zum 1. Januar sind bereits 8 Milliarden umgesetzt worden - wir haben das Kindergeld und den Kinderfreibetrag erhöht, Mittelständler und Familienbetriebe entlastet. Jetzt geht es in dieser Legislaturperiode darum, die Mittelschicht um weitere 16 Milliarden Euro zu entlasten. Das durchzusetzen, wird angesichts der Finanzlage schwer genug.
Frage: Noch mal: Sind die 16 Milliarden Ihr letztes Wort?
WESTERWELLE: Das ist erstens im Koalitionsvertrag vereinbart und zweitens wirtschaftlich notwendig. Der Koalitionsvertrag ist ja nicht aus dem letzten Jahrhundert, sondern noch kein halbes Jahr alt. Wie versprochen, haben wir längst begonnen, das Steuersystem einfacher, niedriger und gerechter zu machen.
Frage: Also versprochen: Steuersenkungen in Höhe von 16 Milliarden?
WESTERWELLE: Messen Sie uns an unseren Taten. Wir haben mit der Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen am 1. Januar begonnen und trotzdem weniger Schulden gemacht, als noch vom alten Finanzminister geplant. Diesen Weg gehen wir konsequent weiter.
Frage: Als Umfaller werden Sie ja schon deswegen geschmäht, weil von der Senkung des Spitzensteuersatzes nicht mehr die Rede ist . . .
WESTERWELLE: Wir müssen Prioritäten setzen, und Priorität hat jetzt die Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen. Ohne die FDP würde längst wieder über Steuererhöhungen geredet. Die Große Koalition hat doch sofort nach der Wahl 2005 saftig die Mehrwertsteuer erhöht. Wir haben hingegen nach der Wahl das Kindergeld erhöht und wollen jetzt die kleinen und mittleren Einkommen - zwischen 8000 und 53 000 Euro im Jahr - entlasten. Das ist uns das Wichtigste. Wenn die Mittelschicht weiter schrumpft, dann wird unsere Gesellschaft gespalten.
Frage: Wirklich keine Steuererhöhungen in dieser Legislaturperiode?
WESTERWELLE: Warum erkennen Sie nicht an, dass wir mit den Entlastungen längst begonnen haben? Das zählt.
Frage: Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?
WESTERWELLE: Wenn eine Partei das einhält, was sie im Wahlkampf versprochen hat, sollte das auch einmal anerkannt werden. Aber elf Jahre Staatsgläubigkeit, Umverteilungspolitik und Politik auf Kosten der Mittelschicht können von uns nicht in einem halben Jahr vollständig korrigiert werden.
Frage: In drei Wochen ist die "kleine Bundestagswahl" in Ihrer Heimat Nordrhein-Westfalen. Keine Umfrage sieht derzeit eine Chance für eine schwarz-gelbe Mehrheit. Glauben Sie, dass Ihr Steuerkonzept das Blatt noch wendet?
WESTERWELLE: In den letzten Tagen des Wahlkampfs geht es um die einfache Frage: Wird Deutschlands größtes Bundesland künftig von SPD, Grünen und Linkspartei regiert? Das steht zur Abstimmung. Bei allen Anlaufschwierigkeiten von Schwarz-Gelb in Berlin, die man auch kritisieren mag, muss man doch auch die Alternative bedenken: Rot-Rot-Grün mit allen Konsequenzen.
Frage: Nach den jetzigen Umfragen reicht es auch für Schwarz-Grün. Beunruhigt Sie das nicht viel mehr?
WESTERWELLE: Wohin Schwarz-Grün führt, kann man in Hamburg studieren. Dort gibt es eine ganze Volksbewegung gegen die Einführung der Einheitsschule. Und wer die Wiederholung solcher misslungener Experimente verhindern will, der muss am 9. Mai FDP wählen.
Frage: Was ist Ihr Wahlziel?
WESTERWELLE: Wir wollen in Nordrhein-Westfalen 10 Prozent plus X erreichen und damit die Mehrheit für eine bürgerliche Regierung sichern.
Frage: Vor fünf Jahren ist die FDP aber nur auf 6,2 Prozent gekommen. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
WESTERWELLE: Zum ersten Mal gibt es bei einer Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen eine Zweitstimme. Das verändert alles. Die Bürger können diesmal nicht nur eine Partei wählen, sondern eine Koalition wählen. Darum sage ich: Zweitstimme für die FDP - dann klappt es auch mit Schwarz-Gelb. Nur die FDP garantiert in NRW eine bürgerliche Mehrheit.
Frage: Die Spitzen von SPD und Grünen aus Bund und NRW treten morgen gemeinsam in Berlin auf, um das Startsignal für einen rot-grünen Wahlkampf zu geben.
WESTERWELLE: Da fehlt der Dritte. Wo ist Gregor Gysi? Die Veranstaltung ist ohne die Linkspartei eine Mogelpackung. NRW soll zum Versuchslabor für eine Linksregierung im Bund ab 2013 werden.
Frage: Herr Westerwelle, Sie haben im Winter eine Debatte über den deutschen Sozialstaat losgetreten, in deren Mittelpunkt Hartz IV stand. Geändert hat sich seither wenig. Viel Lärm um nichts?
WESTERWELLE: Im Gegenteil! Wir machen mit dem Prinzip von Fördern und Fordern endlich ernst. Die Bundesregierung wird am Mittwoch einige wichtige Änderungen der Hartz-IV-Regelungen beschließen. Zum Beispiel wird künftig jedem Arbeitslosen unter 25 innerhalb von sechs Wochen eine Ausbildung, ein ordentliches Arbeitsverhältnis oder eine andere sinnvolle Arbeitsgelegenheit angeboten.
Frage: Und wenn er ablehnt?
WESTERWELLE: Wer jung und gesund ist und keine eigenen Angehörigen zu betreuen hat, der kann auch für das, was er vom Staat bekommt, eine Gegenleistung erbringen. Diesem Angebot muss der junge Hartz-IV-Empfänger nachkommen, sonst werden ihm nach geltender Rechtslage die Hilfsleistungen gekürzt. Bei uns gilt das Prinzip: Fördern und Fordern. Sie sehen also, dass wir die Debatte, die ich angestoßen habe, jetzt in konkretes Handeln umsetzen.
Frage: Es wird nicht für alle jungen Hartz-IV-Empfänger reguläre Jobs geben. Sie haben seinerzeit in BILD am SONNTAG gefordert, dass Hartz-IV-Empfänger zur Not auch Schnee schippen sollten. Was für gemeinnützige Tätigkeiten kommen noch infrage?
WESTERWELLE: Das Interessante ist doch: Erst sind alle über mich hergefallen, dann machen sie ganz ähnliche Vorschläge. Die SPD schlägt vor, dass Hartz-IV-Empfänger in Altenheimen Bücher vorlesen, Grüne hatten die Idee, sie die Straßen reinigen zu lassen. Das Entscheidende ist doch ein sehr einfacher Gedanke: Wer arbeitet, muss immer mehr haben, als wenn er nicht arbeitet. Deshalb ist es auch ein Verstoß gegen die Leistungsgerechtigkeit, dass Kinder von Hartz-IV-Empfängern ihren Verdienst aus Ferienjobs abliefern müssen. Das ändern wir jetzt: Das Geld aus normalen Ferienjobs wird künftig bis zu 1200 Euro nicht mehr mit den Hartz-IV-Bezügen der Eltern verrechnet.
Frage: Herr Westerwelle, Sie waren 2009 der politische Gewinner des Jahres. Jetzt sieht es so aus, als wenn Sie der Verlierer des Jahres 2010 werden könnten. Sie liegen in der Beliebtheit noch hinter Gregor Gysi, und Ihre Partei ist in den Umfragen abgestürzt. Wie sehr macht Ihnen das zu schaffen?
WESTERWELLE: Ich habe in den vergangenen neun Jahren als FDP-Vorsitzender höchste Höhen und tiefe Umfragetäler erlebt. Die Wahlergebnisse aber können sich sehen lassen. Denn die Menschen spüren, dass wir wirklich etwas ändern wollen. Und dann darf man sich vor Gegenwind und Kritik nicht fürchten. Nur wer still stehen bleibt, tritt niemandem auf die Füße. Es geht darum, dass wir das Richtige tun.