Klaus-Uwe hat wie immer sehr intensiv recherchiert und ausgewogen formuliert. Seinem Grundtenor ist nicht zu widersprechen. Da ich mich selbst seit 14 Jahren im Gesundheitswesen herumschlage, will ich dennoch ein paar Hinweise geben:

Das von Klaus-Uwe geschilderte Problem ist natürlich kein Einzelfall. Da er ein pfiffiger Nordhäuser ist, wird er für sich eine Lösung finden. Für viele andere Patienten nicht nur bei Augenärzten, die sich nicht an die Öffentlichkeit wagen, bleibt es wie verhext. Ich selbst wich vor zwei Jahren nach Mühlhausen aus, weil ich in Nordhausen keinen Termin beim Facharzt bekam.

Das Problem ist nicht neu. Spätestens seit Exgesundheitsminister Seehofer (CSU) besteht es, mit seinen Nachfolgerinnen Fischer (Grüne) und Schmidt (SPD) hat es sich verschärft: Die Politik verspricht den gesetzlich Versicherten für eine monatliche Flatrate von 0,00 EUR (Familienversicherte Kinder, Hausfrauen und -männer) bis maximal 296,25 EUR eine grenzenlose medizinische Versorgung auf Weltspitzenniveau. Doch im Gesundheitsmarkt - den ich bewusst so nenne, denn alles andere ist Augenwischerei - gelten die Regeln von Angebot und Nachfrage: Bei einem staatlich festgesetzten Höchstpreis (dies sind die Budgets für die verschiedenen Bereiche im Gesundheitswesen, die sich aus der Flatrate nach Abzug der Bürokratiekosten von AOK, BARMER u. s. w. berechnen), der niedriger ist als der Gleichgewichtspreis zwischen Angebot und Nachfrage, ist die Nachfrage weit größer als das Angebot. Das kennen wir aus der DDR doch bestens (z. Bsp. Mieten, Handwerker, Südfrüchte). Da hieß es Mangelwirtschaft mit den Folgen Rationierung und Schwarzmarkt.

Nach den Regeln der deutschen Kassenmedizin bekommt ein niedergelassener Arzt pro Leistungseinheit ein immer geringeres Honorar, je mehr er arbeitet. Ein schlechter Arzt mit wenigen Patienten verdient pro Patient viel mehr als ein guter Arzt mit sehr vielen Patienten. Außerdem bekommen alle Ärzte Honorarkürzungen, wenn die gesetzlich Versicherten öfter krank werden, als von der "Staatlichen Plankommission" festgelegt. Somit sucht der Arzt, dessen tägliche Leistungsfähigkeit physischen und psychischen Grenzen unterliegt, nach Auswegen, die es ihm erlauben, in seiner Behandlungszeit so viel Umsatz zu erwirtschaften, dass er damit seine Kosten decken und ein angemessenes Einkommen erzielen kann. Wegen der oben beschriebenen Vergütungsdegression bei Kassenpatienten bleibt bei steigenden Kosten für Personal, Geräte, Miete, Nebenkosten u. s. w. rational nur der Ausweg über die unbudgetierte Privatsprechstunde, die außerdem enorm Zeit spart, weil sie viel weniger Bürokratie verursacht als die Kassenleistung. Täten die Ärzte dies nicht, könnten sie aus wirtschaftlichen Gründen gar keine Kassenpatienten mehr behandeln! Von Typen wie Karl Lauterbach, dem so genannten SPD-Gesundheitsexperten, werden die Ärzte dafür am Nasenring des Hippokratischen Eides durch die Arena getrieben.

Übrigens arbeiten Ärzte in Thüringen nach Erhebungen der LÄK ca. 63 Stunden/Woche, wovon mindestens 20 % für die Kassenbürokratie anfallen. Das Einkommen der Ärzte ist in absoluten Zahlen immer noch hoch, doch rechnen Sie mal auf die tatsächlichen Arbeitsstunden um! Außerdem muss ein niedergelassener Arzt aus seinem Einkommen noch Renten- u. Krankenversicherung (ohne steuerfreien Arbeitgeberzuschuss) finanzieren. Hinzu kommen die Steuern, im Unterschied zu Arbeitnehmern ohne steuerfreie Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit. Für die Urlaubszeit gibt"s gar nichts, aber die Kosten laufen weiter und Lohnfortzahlung bei Krankheit kennt der niedergelassene Arzt nur für seine Mitarbeiter. Laut Erhebung von Stern, Stat. Bundesamt und Hans-Böckler-Stiftung (DGB) sank das Bruttoeinkommen der Ärzte von 1990 bis 2008 nach Abzug der Inflation um 50 %, das der Verwaltungsfachleute, dazu gehören auch die Mitarbeiter der gesetzlichen Krankenversicherungen, stieg dagegen nach Abzug der Inflation um 19 %. Allein diese Statistik zeigt, worauf sich Gesundheitspolitik in Deutschland in den letzten 20 Jahren konzentriert hat: Immer mehr staatliche Regulierung, immer mehr Bürokratie!

Und die Bürokratie kostet: Der Vorstandsvorsitzende der Techniker-Krankenkasse erhielt 2008 beispielsweise 246.000 EUR Vergütung und eine Leistungsprämie von 50.000 EUR angesichts der Fusion seiner Krankenkasse mit der Innungskrankenkasse (IKK) Direkt. Bei der Barmer erhalten Vorstandsmitglieder nach einer Veröffentlichung im Bundesanzeiger 198.000 EUR. Bei der Deutschen Angestellten-Krankenkasse erhält der Vorstandsvorsitzende ein Jahressalär von 231.000 EUR. Der Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern brachte es 2008 auf 221.000 EUR und der Ex-Vorstandschef des BKK-Bundesverbandes auf 268.000 EUR. Und auch die "Gegenseite" greift zu. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung lässt sich mit 260.000 EUR von den niedergelassenen Ärzten bezahlen. Diese Vergütung liegt immerhin über dem Verdienst von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Eine Arzthelferin in Thüringen kommt etwa auf 18.000 EUR brutto im Jahr.

- Ist die AOK eigentlich auch für die Abrechnung beim Friseur zuständig und wie hoch ist der Beitrag der Friseure zur Kassenfriseurlichen Bundesvereinigung? - Nur mal so, als Frage!

Wenn man sich als Arzt in Nordhausen mit leichter Arbeit dumm und dämlich verdienen könnte, dann müsste es diese Spezies doch wie Sand am Mehr geben. Doch vergleichen Sie mal, wie viele Bewerber sich auf eine Stelle als Arzt, Krankenschwester oder Pfleger melden, mit der Zahl der Interessenten für eine freie Stelle in der öffentlichen Verwaltung! Welcher Job scheint der lukrativere zu sein?

Wer die Probleme angehen will, muss weg von immer mehr staatlicher Regulierung und hin zu mehr Transparenz und Marktwirtschaft im Gesundheitswesen. Herr Rösler - so scheint es - ist mit besten Ansätzen (siehe Koalitionsvertrag) nicht sehr weit auf diesem Weg gekommen. So wird das von Klaus-Uwe geschilderte Problem schon wegen der demographischen Entwicklung immer größer werden. Leider.

Steffen Liesegang, ein frustrierter Liberaler


P.S.: Zitat aus § 12 SGB V "Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen."
Wer erinnert sich noch, welche Schulnote "ausreichend" war? Dass der Leistungsanspruch der gesetzlich Versicherten auf "ausreichend" beschränkt ist, erzählen weder AOK noch Lauterbach, Seehofer …