Das Problem, als Neupatient bei einem Arzt ohne lange Wartezeiten einen Termin zu bekommen, dürfte den meisten Lesern bekannt sin. Aber haben Sie schon einmal versucht, bei einem Nordhäuser Augenarzt vorgelassen zu werden? Ich meine nicht die Notfallversorgung. Die müssen die Ärzte absichern. Aber so dreist war ich nicht, mich mit vorgeblicher Halbblindheit auf gut Glück in ein Wartezimmer zu setzen. Das nächste Mal werde ich das aber tun. Denn ich habe nun meine Erfahrungen, als biederer Mensch nett telefonisch bei den vier in unserer Stadt vorhandenen Augenarztpraxen anzurufen und einen Termin vereinbaren zu wollen.

Zuerst in der Praxis Dr. Klieme, Bochumer Str. 157. Da war ich noch naiv erstaunt. Die freundliche aber resolute Schwester teilte mir unmissverständlich mit, dass kein Termin zu bekommen sei, dass Neupatienten grundsätzlich nicht angenommen werden. Auch nicht mit Überweisung vom Hausarzt. Aber ich hätte für rund 39 € die Möglichkeit, eine Privatsprechstunde zu besuchen. Das habe ich als Kassenpatient dankend abgelehnt.

Mir schwante schon, dass mein Misserfolg vielleicht kein Zufall ist. Und tatsächlich! Beim nächsten Anruf in der Gemeinschaftspraxis Dr. Hoffmann/Dr. Holzwarth, Reichsstraße 26a, bekam ich eine ähnliche Auskunft - keine Annahme von Neupatienten. Jedoch gibt es hier zumindest eine kleine Hoffnung: An einem (!) Tag im Dezember 2010 werden Neupatienten angenommen. Dafür sollte ich ab September - ein genaueres Datum war nicht zu erfahren - noch einmal anrufen. Meine Frage danach, wie denn die Selektion erfolgt, wenn sich mehr Kandidaten anmelden, als an einem Tag von den Ärzten behandelt werden können, wurde leider nicht beantwortet. Ich hoffe, es geht so gerecht zu, dass wer zuerst kommt, auch zuerst mahlt. Für alle Fälle erhielt ich auch hier den Hinweis auf Privatsprechstunden für die schon erwähnten rund 39 €.

Nun war mein sportlicher Ehrgeiz geweckt. Ich habe eine Wette mit mir selbst abgeschlossen, dass bei den zwei verbleibenden Augenarztpraxen wohl das gleiche Ergebnis rauskommen wird. Ich bin weit entfernt, den Augenärzten unterstellen zu wollen, sie hätten sich abgesprochen. Das wäre genau so lächerlich wie die bekannte Unterstellung von Preisabsprachen der Mineralölkonzerne an den Tankstellen. Aber, wo ein Monopol ist, sind solche Mutmaßungen nicht weit entfernt, zumindest bei den Benzinpreisen. Und sechs Augenärzte in vier Praxen für gut 45.000 Einwohner sprechen nicht gerade für die Wahlmöglichkeiten des Patienten auf einem funktionierenden Gesundheitsmarkt.

Die Wette habe ich nicht ganz gewonnen. Denn in der Praxis Dr. Voita, August-Bebel-Platz 33, bekam ich zwar auch keinen Termin, aber auch keine Aussicht, je einen zu erheischen. Auch nicht mit Voranmeldung für übernächstes Jahr. Dafür, die Gerechtigkeit gebietet mir, das zu schreiben, gab mir die Sprechstundenhilfe auf meine nun schon gezielte Frage zu den privat bezahlten Sprechstunde eine Abfuhr. Nein, bei Dr. Voita gibt es für Kassenpatienten keine Privatsprechstunden. Da muss ich schon zu anderen Augenärzten gehen. Hab ich gemacht. Die letzte Praxis im Bunde, Dr. Gründel und Dr. Heise, Stolberger Str. 27, ist telefonisch nur zwischen 12 und 13 Uhr zu erreichen. Und auch in dieser Zeit habe ich zwei Tage gebraucht, ehe ich die Schwester am Apparat hatte. Ab Januar könnte ich mich für Juli nächsten Jahres anmelden. Das war die erste halbwegs verbindliche Aussage von einem der Ärztinnen und Ärzte. Allerdings gilt auch hier, wenn ich schneller dran sein möchte: Freitags Vormittag gibt es die schon bekannte Privatsprechstunde.

Wer glaubt, ich will die Augenärzte hier an den Pranger stellen, der irrt. Nichts liegt mir ferner. Sie haben einen schweren und sehr verantwortungsvollen Beruf. Sie gehören dabei nicht zu den Geringverdienern, aber das ist gerecht. Was mich dennoch ausgesprochen verwundert hat, ist, dass bei nüchterner Betrachtung unser Gesundheitssystem in diesem Fall schon voll nach Marktgesetzen funktioniert. Oder auch nicht funktioniert, für diejenigen die ohne ärztliche Versorgung bleiben und sich Privatsprechstunden nicht leisten können. Es gibt soviel Nachfrage nach der Dienstleistung, dass die Ärzte es sich als Dienstleister erlauben können und vielleicht auch müssen, potentielle Patienten abzulehnen. Das Argument der Überbelastung lasse ich nur teilweise gelten. Denn für die Privatsprechstunden, die wahrscheinlich deutlich größeren wirtschaftlichen Vorteil für die Ärzte bringen, haben sie freie Kapazitäten, sonst wären sie nicht im Angebot. Denn der Arzt ist auch in der Privatsprechstunde vor seinem Patienten verantwortlich. Keiner der Augenärzte würde es sich erlauben können, total ausgelaugt vom allgemeinen Sprechstundendienst und dem gewaltigen Papierkrieg, den er zu schultern hat, Kunden privat auf die Gefahr hin zu behandeln, überlastet Kunstfehler zu machen. Das Risiko wäre zu groß.

Ich habe mich nach meinen Anrufen in den Praxen bei der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringens (KVT) erkundigt, warum die Situation so ist. Die Antwort dort war verblüffend einfach und klar. Laut § 4 der Richtlinien der KVT über die Abhaltung von Sprechstunden müssen die Ärzte mindestens 20 Stunden wöchentliche Sprechstundentätigkeit absichern. Das tun sie. Bedarf wäre für viel mehr da. Und das liegt daran, dass Augenärzte nun mal häufig mit mehr älteren Menschen zu tun haben. Die Schlüssel der Vergütung durch die Krankenkassen ignorieren aber die Altersstruktur. Und je mehr Kassenpatienten ein Arzt behandelt, desto weniger rentabel wird es wirtschaftlich für ihn. Will sagen, dass es bei der demographischen Struktur in Ostdeutschland im vorhandenen Gesundheitssystem einfach diese Lücken geben muss. Wir haben mehr ältere Menschen als vergleichbare Regionen in den Altbundesländern. In Köln z.B. bekommen sie nachweislich innerhalb eines Monats einen Termin beim Augenarzt.

Die Augenärzte verhalten sich innerhalb des Gesundheitssystems also wie Privatunternehmer. Sie werden von den Kassen quasi auch als solche behandelt. Sie tragen das wirtschaftliche Risiko. Warum sollte ich also verlangen, dass sie betriebswirtschaftlich unökonomisch arbeiten? Nun ja, es gibt da noch einen kleinen Unterschied, sagen wir zwischen einem KfZ-Mechaniker und einem Augenarzt. Der Meister ist verantwortlich für die Verkehrssicherheit seiner Arbeit. Er trägt damit Verantwortung für Gut und Gesundheit seiner Kunden und haftet im Zweifelsfall dafür. Der Arzt aber hat im Unterschied zum Handwerker nicht nur die umfangreiche Hochschulausbildung, er hat vor allem den Hippokratischen Eid ablegen müssen.

Wahrscheinlich ist ja am System etwas faul. Ich halte es für meinen Teil für naiv, ein allumfassendes staatliches Gesundheitssystem als Alternative anzubieten. Das gibt es beispielsweise in Großbritannien oder, noch krasser, in Russland. Das Ergebnis ist eine knallharte Klassenmedizin, bei welchem die Armen runterfallen. Welche Konsequenzen das haben kann, zeigen Beispiele von Augenärzten, die aus der Kassenärztlichen Vereinigung ausgetreten sind und somit nur noch privat auf Cash behandeln. Wirtschaftlich scheint das praktikabel zu sein. Ist es von uns auch so gewollt?

Klaus-Uwe Koch, ein Liberaler aus Nordhausen