Uwe Barth im TLZ-Interview
Landes-und Fraktionsvorsitzender Uwe Barth, MdL
Landes-und Fraktionsvorsitzender Uwe Barth, MdL

Die Bildungspolitik ist heute Thema des Tages in der Thüringischen Landeszeitung TLZ. "Minister Matschie ideologisiert die Thüringer Bildungspolitik", so der Vorwurf von Uwe Barth im TLZ-Gespräch. Die neue Schulform der Gemeinschaftsschule werde privilegiert. Während sie Sondermittel für Sozialpädagogen erhielten, wolle Matschie bei den Schulen in freier Trägerschaft kürzen. Beim mitteldeutschen Abitur hat Thüringen offenbar den Startschuss verpasst, weil man, statt mit den Nachbarländern Gespräche über eine Vereinheitlichung der Abiturprüfungen zu führen, in der Koalition über Schulstrukturen streitet. In einem ganzseitiges Interview zur Landespolitik bezweifelt der FDP-Fraktionschef den Sparwillen der Regierung.

TLZ-Interview mit FDP-Fraktionschef Uwe Barth:
Die CDU macht keine bürgerliche Politik mehr
"Ich zweifle am Sparwillen der Regierung"

Neuverschuldung auf Null schreiben - Bildungspolitik Matschies ist ideologiegeprägt - Für sechs Jahre gemeinsames Lernen.

Von Hartmut Kaczmarek

Weimar. Die Neuverschuldung des Landes soll auf Null heruntergedreht werden. Nur so sehe eine verantwortungsvolle Finanzpolitik für Thüringen aus, sagt der FDP-Fraktionschef im Landtag, Uwe Barth, im TLZ-Interview. Der schwarz-roten Koalition in Erfurt traut er einen solchen Kraftakt allerdings nicht zu. Der CDU wirft er vor, keine bürgerliche Politik mehr zu machen.

Ist die FDP die einzige bürgerliche Partei im Landtag, wie ihr Generalsekretär Patrick Kurth vor einigen Tagen im TLZ-Interview gesagt hat?
Patrick Kurth beobachtet scharf und richtig.

Warum ist die CDU keine bürgerliche Partei mehr?
Sie macht keine bürgerliche Politik. Eigentlich haben wir in Thüringen zwei Koalitionen.

Wie bitte?
Wir haben eine Koalition, die regiert und eine informelle Koalition daneben, von der die CDU getrieben wird, sich aber auch treiben lässt. Die CDU setzt keine eigenen erkennbaren Schwerpunkte. Sie gibt das Terrain frei und deshalb ist die FDP-Fraktion im Landtag die einzige Fraktion, die konsequent bürgerliche Politik macht.

Was meinen Sie mit informeller Koalition?
Die rot-rote Mehrheit mit dem eigentlich überflüssigen, sich aber ständig aufdrängenden Zusatz grün.

Auf welchen Gebieten gibt die CDU Terrain frei?
In der Bildungs- und Wirtschaftspolitik, aber auch in der Haushaltspolitik und Innenpolitik.

Aber bei den Finanzen gibt es doch die Sparkommissarin Walsmann - oder nicht?
Die Finanzministerin hat sicherlich den festen Willen zum Sparen, sie hat aber keine Unterstützung - insbesondere nicht von der Regierungschefin.

Lieberknecht redet doch von einem harten Sparkurs.
Sie redet drüber, richtig. Aber die Konsequenzen fehlen. Sie hat beispielsweise in mehreren Interviews "die Politik" zum Sparen ermahnt. Da frage ich mich, ob die Bürgerin Christine Lieberknecht an die Regierungschefin Lieberknecht einen Brief mit mahnenden Worten schreibt. Die beiden sollten vielleicht einmal miteinander reden. Das könnte hilfreich sein.

Aber CDU-Fraktionschef Mike Mohring steht doch eigentlich für einen konsequenten Sparkurs. Oder etwa nicht?
Er vielleicht. Aber die Fraktion kann sich nicht gegen die Regierung durchsetzen.

Wie viel neue Schulden kann sich das Land leisten?
Überhaupt keine. Man muss bei der Neuverschuldung auf Null runter.

Verfassungsmäßig ist die Grenze bei etwa 600 Millionen.
Das mag ja sein. Der Punkt ist aber ein anderer: Allein durch die Neuverschuldung des Haushaltes 2010 ist die jährliche Zinsbelastung auf 700 Millionen Euro angewachsen. Thüringen hat einen Schuldenberg von 17 Milliarden Euro. Packt man jetzt noch mal 600 Millionen drauf, steigen die Zinslasten noch einmal in einer Größenordnung zwischen 25 und 30 Millionen, ohne dass ein einziger Euro getilgt wurde.

Verantwortungsvoll heißt keine Neuverschuldung, sagen Sie. Wie wollen Sie den Haushalt zurückdrehen?
Wir werden auch in diesem Jahr wieder detaillierte Sparvorschläge machen. Wir haben schon beim Haushalt 2010 Einsparungen in einer Größenordnung von rund einer halben Milliarde Euro gemacht Die wurden nicht umgesetzt. Wir werden beispielsweise das Landesarbeitsmarktprogramm erneut hinterfragen. Wir werden die Frage stellen, wie viele Menschen konkret durch dieses Programm eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt gefunden haben.

Weitere Punkte?
Wir werden wieder das Landeselterngeld auf den Prüfstand stellen. Wir haben zu viel Personal in der Landesverwaltung. Thüringen hat 22 Beschäftigte auf 1000 Einwohner, Schleswig-Holstein hat zum Vergleich 16.

Braucht Thüringen eine Verwaltungs- und Gebietsreform?
Ich halte nichts von einer Gebietsreform von oben. Ich fürchte aber, dass die CDU auch hier von ihrer bisherigen klaren Linie abweicht. Wir brauchen bürgernahe Strukturen. Riesenkreise demotivieren darüber hinaus die ehrenamtlich tätigen Kommunalpolitiker.

Die SPD sagt, man kann gewaltig sparen.
Bisher hat noch niemand bewiesen, dass große Strukturen automatisch billiger sind.

Sie misstrauen den Sparbemühungen der Koalition...
Ich misstraue ihnen nicht, ich glaube ihnen nicht.

Finanzministerin Walsmann bittet derzeit die Kabinettsmitglieder zu Einzelgesprächen in ihren "Beichtstuhl".
Das Verfahren ist falsch. Regierungschefin und ihr Stellvertreter müssten´den Rahmen vorgeben, in dem sich die Ministerien bewegen können und ihre eigenen Prioritäten setzen. Frau Lieberknecht lädt jetzt den ganzen Ärger bei ihrer Finanzministerin ab. Die Ministerpräsidentin müsste hier die Richtlinien vorgeben.

Ihre Prognose für den Haushalt?
Ich habe die dunkle Erwartung, dass die Neuverschuldung wieder in die Höhe getrieben wird.

Und wenn nicht...
... bin ich bereit, den Gang nach Canossa zu machen.

Ist die FDP der einzige Rufer in der parlamentarischen Wüste?
Eindeutig ja.

Stichwort Bildungspolitik. Konzentriert sich das Bildungsministerium zu sehr auf die Schulstrukturdiskussion?
Ich nehme kaum etwas anderes wahr.

Bildungsminister Christoph Matschie will die Finanzen für die Schulen in freier Trägerschaft beschneiden.
Ein völliger Fehlgriff. Man spielt Schulformen, Eltern und Lehrer gegeneinander aus. Das ist eine ideologisch verbohrte Bildungspolitik.

Bildungsminister Matschie bestreitet, dass das eine mit dem anderen etwas zu tun habe.
Dann muss er seine öffentlichen Äußerungen lesen und uns erklären, wie er das gemeint hat.

Gemeinschaftsschulen werden nicht privilegiert, sagt er.
Im Haushalt sind 400 000 Euro für Schulsozialpädagogen angesetzt. Die sind an allen Schulen hochbegehrt. Aber nur die Gemeinschaftsschulen kommen in den Genuss. Was ist das anderes als Privilegierung?

Die Schulen in freier Trägerschaft erhalten mehr Geld als im letzten Jahr.
Ganz einfach deshalb, weil sie mehr Schüler haben. Die Anmeldezahlen bei den freien Schulen steigen. Die Gelder, die das Land für diese Schüler gibt, spart es an staatlichen Schulen ein. Und da die Zuschüsse nur etwa 85 Prozent der Kosten decken, ist das für das Land sogar noch ein Sparmodell.

Das Bildungsministerium sagt, Schulen in freier Trägerschaft seien hochwillkommen. Wie erklären Sie sich das?
Das halte ich für ein Lippenbekenntnis. Denn es gibt keine sachliche Erklärung für die Kürzungen bei den freien Schulen, nur eine ideologische.

Wird die Gemeinschaftsschule bei einer FDP-Regierungsbeteiligung wieder eingestampft?
Ich will nicht den Fehler von Matschie machen und nur über Schulstrukturen diskutieren. Die Gemeinschaftsschule ist ein zusätzliches Angebot. Dort, wo sie funktioniert und auch gewollt ist: Warum nicht? Man kann den Schülern doch nicht ständigen Wechsel zumuten.

Wo würden Sie in der Schulpolitik ansetzen?
Thüringen hat eine vielgestaltige Bildungslandschaft, die auch viele Erfolge vorweisen kann. Wir brauchen eine Stärkung der Regelschule und dürfen sie nicht mit Aufgaben überlasten, die sie nicht leisten kann.

Brauchen wir die CDU-Oberschule?
Ich kann den taktischen Schachzug der CDU verstehen. Aber wir müssen aufpassen, dass wir die Bildungslandschaft nicht so zersplittern, dass niemand mehr einen Überblick hat, dass wir zu viele unterschiedliche Bildungsabschlüsse haben. Das ist nicht im Interesse unserer Kinder.

Machen zu viele Kinder Abitur?
Nur wer studieren will und kann, soll das Abitur anstreben. Es ist nichts Ehrenrühriges, kein Abitur zu haben. Bei Übertrittsquoten von mehr als 50 Prozent wie in Jena läuft etwas schief. Wir laufen sehenden Auges in die Situation, dass die Regelschulen zur Restschule werden. Das müssen wir verhindern.

Längeres gemeinsames Lernen?
Die FDP will die Entscheidung über die weitere Schullaufbahn nach hinten verlegen. Unser Vorschlag: Nach vier Jahren Grundschule besuchen alle gemeinsam zwei Jahre die Regelschule. Nach der sechsten Klasse wird dann entschieden, ob die Schüler an der Regelschule bleiben oder wechseln. Ich bin fest überzeugt, dass das auch die Regelschule stärken wird.

Ein anderes Politikfeld, wo die CDU der SPD das Terrain überlässt, ist die Wirtschaftspolitik. Eigentlich läuft's doch gut - oder nicht?
Wir müssen die stärken, die den Aufschwung tragen, nämlich die kleinen und mittelständischen Unternehmen in Thüringen. Mein zentraler Vorwurf an Wirtschaftsminister Machnig: Er ist in der kleinteiligen Unternehmensstruktur Thüringens mit seinen kosmopolitischen Gedanken noch lange nicht angekommen. Er nutzt Thüringen vorwiegend für sich selbst, um sich als Retter des Abendlandes zu gerieren. Mit den Strukturen hier im Land hat er sich überhaupt noch nicht befasst.

Aber auch der Wirtschaftsminister redet viel von der Stärkung des Mittelstandes.
Die Worte hör' ich wohl. Aber der Mittelstand wird für Machnig nur dann interessant, wenn er dazu auffordert, Betriebsräte zu gründen auch in Unternehmen, die keine haben wollen. Oder er pocht beim Vergabegesetz auf vergabefremde Kriterien wie Quoten oder Mindestlöhne. Das hat alles dort nichts zu suchen. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn dort Dinge festgeschrieben werden, von denen wir wissen, dass sie von vielen kleinen Unternehmen nicht zu erfüllen sind.

Gibt es einen Minister, den sie gut finden?
Das ist nicht die entscheidende Frage. Es geht um das Gesamterscheinungsbild. Und hier ist klar: Es regiert zusammen, was organisch nicht zusammengehört.

Wo setzt die FDP ihre inhaltlichen Schwerpunkte?
Zunächst mal beim Haushalt. Wir müssen sparen, wo immer es geht. Wenn Mike Mohring jetzt im TLZ-Interview sagt, er will auf die Ansätze von 2009 zurück, dann kann ich das nur begrüßen. Das wollten wir schon mit unseren Vorschlägen zum Haushalt 2010. Zweitens steht für uns die Bildungspolitik im Fokus. Im Bereich des Wirtschaftsministeriums werden wir unser Augenmerk auf die Erneuerbaren Energien richten. Warum nutzen wir zum Beispiel die vorhandenen Talsperren-Kapazitäten nicht besser. Wir werden die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Ausbaus der Windenergie stellen.

Machnig will ein Prozent der Landesfläche dafür zur Verfügung stellen.
Ein völlig falscher Ansatz. Wir müssen uns doch an der Leistung derartiger Anlagen orientieren. Hier kann durch Nachrüstung alter Anlagen viel erreichen.

Weitere Schwerpunkte?
Die Landesregierung soll sich im Bundesrat für Steuersenkungen einsetzen. Ein zentrales Thema sind für uns auch die kommunalen Finanzen.

Gibt es neue Gesetzentwürfe der FDP?
Gesetzentwürfe sind für eine Fraktion immer ein großes Rad. Einen Gesetzentwurf zu schreiben bedeutet sehr viel Aufwand - meistens vergeblich bei den Mehrheitsverhältnissen. Deshalb ist das nicht unser bevorzugtes Arbeitsmittel.

Sie grenzen sich deutlich von den anderen Oppositionsparteien ab?
Ja. Von den Linken sowieso. Und auch von den Grünen, weil sie keine Bürgerrechtspartei mehr ist, sondern die dritte linke Kraft in Thüringen. Die Grünen haben 13 gemeinsame parlamentarische Initiativen mit den Linken gestartet.

Teilen Sie wenigstens die Klage der Grünen, dass die kleinen Parteien im Landtag benachteiligt werden?
Nein. Wenn die Grünen der Meinung sind, es geht ihnen so schlecht, sollen sie herumjammern. Ich habe eine andere Lehre daraus gezogen: Wir sind beim nächsten Mal mehr.

Ein ehrgeiziges Ziel vor dem Hintergrund der aktuellen Umfragen.
Die Wähler unterscheiden deutlich zwischen Bundestags- und Landtagswahlen. Im Landtag machen wir einen ganz guten Job. Zweitens: Die gegenwärtigen Zahlen sind eine Momentaufnahme. Wir müssen jetzt die Erwartungen der Wähler auf Bundesebene erfüllen. Schlechte Umfragen sind wie gelbe Karten. Im Fußball werden nach dem Viertelfinale die gelben Karten gestrichen. Bei ordentlichen Regierungsergebnissen ist das genauso.

Sind Sie und die FDP eigentlich für die Abteilung Attacke bei der parlamentarischen Auseinandersetzung allein zuständig?
Die Abteilung Attacke ist ein Teil der Oppositionsarbeit.

Die anderen Oppositionsparteien sind bei ihrer Kritik an der Politik der Landesregierung zurückhaltender?
Nehmen Sie die Haushaltsberatungen: Von den fünf Parteien haben vier nur auf die FDP eingeprügelt. Wir sind diejenigen, die am konsequentesten die Regierung kontrollieren. Dass die anderen sich an uns abarbeiten und nicht an der Regierung, mag daran liegen, dass die Regierung kein Profil hat, wir dagegen schon.

(Thüringische Landeszeitung vom 19.8.2010)