Kommentar
Generalsekretär Patrick Kurth
Generalsekretär Patrick Kurth

Bundesverfassungsgericht muss Libero spielen

FDP-Generalsekretär Patrick Kurth kommentiert die aktuelle Verfassungsgerichtsentscheidung zur Pendlerpauschale:


"Der Libero einer Fußballmannschaft versucht Fehler auszuputzen, die die Abwehrkette vor ihm gemacht hat. Er hat keinen direkten Gegenspieler - in modernen Spielsystemen wird auf die Position allerdings verzichtet.

Ganz im Gegensatz dazu ist ein Ausputzer in der Bundesgesetzgebung modern geworden: Dort heißt die Liberoposition "Bundesverfassungsgericht". Und es hat einen Gegenspieler: Die Bundesregierung. "Unvereinbar mit der Verfassung" - ein Urteil, das in den letzten zehn Jahren zur Gewohnheit wurde. Endstation Karlsruhe - Die Liste der Regierungspläne, denen das Verfassungsgericht widersprach, ist lang. Das Urteil zur Pendlerpauschale reiht sich ein in eine regelrechte Flut verfassungswidriger Regelungen, in deren Folge Ohrfeigen aus Karlsruhe Routine wurden. Die Bürger dürfen sich fragen, warum sei eine unüberschaubare Zahl an Regelungen und Gesetzen beachten müssen und bei vergleichsweise geringen Verstößen empfindliche Strafen aufwarten (man denke nur an die StVO), während die Bundesregierung die Verfassung auf "Biegen und Brechen" strapaziert.

So wollte die damalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) Studiengebühren verbieten. "Keine Gesetzgebungskompetenz durch den Bund", stellte Karlsruhe fest.
2007 wurde die Hartz-IV-Verwaltung für verfassungswidrig erklärt. Aus dieser Zeit stammt auch die Abfuhr für das Erbschaftsteuerrecht. Erst in den letzten Wochen wurde ein neues Gesetz vorgelegt - über dessen Sinn sich gerade in Thüringen weiter streiten lässt. Und ob es verfassungsgemäß ist, Geschwister im Erbfall schlechter zu behandeln, als andere Verwandte, ist mehr als fraglich.

Aufsehenerregender indes war vor zwei Jahren gar das Einschreiten des Bundespräsidenten. Er verweigerte seine Unterschrift - und das zweimal in wenigen Wochen: Keine Unterzeichnung des Verbraucherinformations- und des Flugsicherheitsgesetzes. Beide konnten nicht in Kraft treten. Ebenso spektakulär: Das Scheitern des NPD-Verbotsantrages vor dem Bundesverfassungsgericht. Bundestag (ohne Stimmen der FDP), Bundesrat und Bundesregierung hatten das Parteiverbotsverfahren eingeleitet, obgleich zahlreiche Informanten in NPD-Funktion waren. Die Richter konnten so nicht entscheiden, wer für das verfassungswidrige Handeln tatsächlich verantwortlich ist.

Offenbar in sich wiederholender Regelmäßigkeit versuchen Union und SPD in Sachen Innere Sicherheit die Grenzen der Verfassung zu biegen. So kippte Karlsruhe die automatische Erfassung von Autokennzeichen und Online-Durchsuchung der Festplatten von Terrorverdächtigen in einigen Ländern. Zuvor bereits wurden etwa die Rasterfahndung und der große Lauschangriff massiv eingeschränkt. Das Luftsicherheitsgesetz ging ebenfalls nicht durch. Danach sollten entführte Passagierflugzeuge abgeschossen werden dürfen, damit sich in Deutschland der 11. September 2001 nicht wiederhole. Die Richter allerdings befanden die Abwägung von Leben gegen Leben für unzulässig.

Weiteres "Ausputzen" ist vorprogrammiert: Unter anderem die FPD prüft Verfassungsklagen gegen das kürzlich verabschiedete BKA-Gesetz, das auch die umstrittenen Online-Durchsuchung beinhaltet. Die bereits bestehende Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und E-Mail-Verbindungsdaten steht bereits zur Prüfung in Karlsruhe an und ist per einstweiliger Anordnung zunächst ausgesetzt. Geklagt hat die FDP.

Das Vorgehen von Regierungsfraktionen und Bundesregierung ist immer das Gleiche: "Wir machen erstmal ein Gesetz, wenn ihr es für verfassungswidrig haltet, klagt doch dagegen." Nach diesem Motto wird regiert. Ein Ausputzer, also ein Libero innerhalb des Gesetzgebers fehlt - noch! Immerhin ist nächstes Jahr Wahl. Dann muss sich dies ändern.

10.12.2008 Pressestelle