Wirtschaftsliberaler Kemmerich hat sich Gleichstellung zum Thema gemacht

Von Gerlinde Sommer Erfurt.

Die Landtagsausschüsse werden auch weiterhin hinter verschlossenen Türen tagen. Die Ausschussarbeit aber ist sehr wichtig für spätere Entscheidungen im Landtag. Daher stellt die TLZ jetzt in loser Folge die Ausschüsse vor. Dazu beantworten die Ausschussvorsitzenden Fragen. Heute gibt Thomas L. Kemmerich (FDP) als Vorsitzender des Gleichstellungsausschusses im Thüringer Landtag Auskunft.



Der Wirtschaftsliberale, der selbst sechsfacher Vater ist, hat sich um das Thema nicht gerissen, aber inzwischen mit der Gleichstellung ein wichtiges Betätigungsfeld gefunden. Im TLZInterview macht er auch deutlich, dass die Landesregierung aus seiner Sicht bei den Weichenstellungen für ,,Kind & Karriere" derzeit den Anschluss zu verpassen droht.

Der Gleichstellungsausschuss stand auf der Kippe.
Nun bleibt er als eigenständiger Ausschuss erhalten. Ist das in Ihrem Sinne?

Es ist richtig, dass der Gleichstellungsausschuss Anfang dieses Jahres grundsätzlich zur Disposition und damit auf der Kippe stand. Außer in Thüringen hat kein Bundesland dieses Gremium. Abgesehen von dem Merkmal der Alleinstellung machen die Aufgaben und Fragen, mit denen wir uns beschäftigen, jedoch sehr deutlich, dass das Thema Gleichstellung immer noch für ausreichend Gesprächs- und Zündstoff sorgt und man noch lange nicht an dem Punkt angekommen ist, an dem sich eine gewisse Selbstverständlichkeit in Gleichstellungsfragen eingepegelt hat. Insofern halte ich es für eine gute und richtige Entscheidung, dass der Ausschuss eigenständig erhalten bleibt. Die Themen, mit denen wir uns auseinandersetzen sind Teil komplexer Lebenswirklichkeiten. Sie betreffen Menschen, soziale Systeme und wir müssen uns immer bewusst sein, dass wir mit Antworten, Entscheidungen und Empfehlungen Weichen für die Zukunft stellen. Diese Herausforderung hat mich von Beginn an gereizt. Immerhin sind die Fragen ­ abstrakt gesprochen ­ nach individueller, gefühlter und zugestandener Freiheit, urliberale Themen.
Wir können etwas bewegen oder auch nur anstoßen

Was war Ihrer Sicht bisher schwierigstes Problem, mit dem sich der Ausschuss bisher befassen musste?
Das schwierigste Problem bestand wohl in der Ankündigung, den Gleichstellungsausschuss ganz und gar auflösen zu wollen.
Denn einerseits konnte ich die Bedenken und Argumente der Befürworter dieser Idee nachvollziehen. Die aufgeworfenen Fragen bleiben ja auch für mich immer wieder als Leitgedanken bestehen: Welchen Stellenwert hat Gleichstellung beziehungsweise Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft und läuft diesbezüglich alles so, wie es laufen sollte? Braucht es dazu diesen Ausschuss?
Andererseits bin ich recht schnell in den Vorsitz ,,hineingewachsen", habe Kernpunkt herausgearbeitet und definiert und mir damit nicht immer Freunde gemacht ­ gerade weil man von einem konservativ-liberal geprägten Politiker, der ich bin, entweder keine Vorstellungen in Hinblick auf meine Arbeit hatte oder sofort die Vorurteil-Schublade aufgezogen wurde. Trotzdem war ich immer der Überzeugung, dass es diesen Ausschuss braucht und wir hier etwas bewegen, manchmal auch nur anstoßen, können. Alle anderen Themen kann und will ich nicht nach ihrem Schwierigkeitsgrad bewerten. Wir befassen uns schließlich mit Fragen, die jeder Mensch beziehungsweise jeder Betroffene sehr unterschiedlich einordnet. Und alle haben ihre Berechtigung. Sich damit zukunftsorientiert, differenziert und trotzdem objektiv auseinander zu setzen, ist nie ein Problem ­ dafür aber immer eine große Aufgabe.

Inwiefern kann Ihr Ausschuss direkt etwas für die Verbesserung des Lebens für die Thüringerinnen und Thüringer tun?
Nehmen wir als aktuelles Beispiel unseren Antrag zur besseren Vereinbarkeit von ,,Kind & Karriere". Zunächst war es uns wichtig, einen Überblick über die Ist-Situation in Thüringen zu bekommen. Über eine Anfrage an unsere Landesregierung haben wir konkrete Anliegen geäußert, durch viele Gespräche mit Menschen aus der Praxis ein schlüssiges Bild bekommen.
Woran liegt es dass Kinder oft als hinderlich im Arbeitsleben wahrgenommen werden? Warum sitzen gut qualifizierte Frauen zu Hause, anstatt sich im Berufsleben einzubringen? Man neigt ja gern zu Verallgemeinerungen und unterschätzt die Bandbreite an Hürden und Hindernissen.

Die vorhandenen Hürden müssen minimiert werden Heute kann ich sagen: Als Politiker, und hier vor allem über den Gleichstellungsausschuss, kann man direkt Verbesserungen für die Thüringerinnen und Thüringer bewirken, in dem man aus den Differenzen, in diesem Fall zwischen Anspruch, Wunsch und Wirklichkeit von Familienleben und dem Leben mit Kind und Job, politische Forderungen aufstellt, die vorhandene Hürden minimieren. Alleinerziehende Eltern sind ein weit verbreitetes Lebensmodell.
Familien mit mittleren Einkommen haben Schwierigkeiten, die steigenden Kosten für Kinderbetreuung und Lebenshaltung aufzubringen ohne Angst vor einem sozialen Abstieg haben zu müssen.

Logische Konsequenz: Wir müssen kompromissbereit und offen die Probleme in unserem Bundesland angehen und immer wieder auf den Ausbau von Ganztagsbetreuung verweisen und gleichzeitig die kruden Vorurteile, von wegen Abschieben und Verwahren, gegenüber dieser Betreuungsform abbauen.
Das hilft vielen Menschen, nimmt die Angst und zeigt deutlich, dass wir erkennen, wo der Schuh drückt und wir etwas Konkretes anstoßen. Politik darf nicht lebensfremd werden. Als Vater von sechs Kindern weiß ich, wovon ich spreche.

Ein Vertreter der kleinen FDPOppositionsfraktion als Ausschussvorsitzender eines Ausschusses, den Sie sich nicht ausgesucht haben, sondern der bei der Verteilung einfach als letzter übrig war: Worin liegt der Reiz Ihrer Arbeit?
Zwei Dinge habe ich mir recht schnell abgewöhnt: Mich bei meiner Arbeit und für meine Ziele an Extrembeispielen zu orientieren und auf die richtige Position zu warten, um etwas bewegen zu können. Ja, wir arbeiten als FDP-Fraktion aus der Opposition heraus. Und ja, im Grunde bin ich Wirtschaftspoli tiker. Aber das alles kann doch kein Grund sein, in diesem Ausschussvorsitz keinen Anreiz zu sehen. Ich denke nicht in Formeln und spreche nicht ausschließlich mit Kollegen aus der Politiker. Ganz im Gegenteil.
Bei meinem Amtsantritt habe ich für mich klar definiert, was ich über den Gleichstellungsausschuss erreichen kann und erreichen will. Als Mensch, der einen Alltag lebt, den jeder andere auch zu bewältigen hat.

Gleichberechtigte Teilhabe aller ist für mich wichtig Zum Beispiel habe ich mit dem Klischee aufgeräumt, dass sich Gleichstellung nur auf das Mann-Frau-Thema bezieht. Es geht mir vielmehr um die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben. Und so gesehen fallen mir viele lebenspraktische Anlässe ein, die mich als Familienvater und Mensch in vielfältigen sozialen Netzwerken betreffen und die nicht rund laufen. Es gibt viel zu tun. Das ist meine Motivation.

Können Sie ein Beispiel nennen, inwiefern sich der Ausschuss kritisch mit dem Wirken der Regierung auseinandersetzt?
Die letzte kritische Auseinandersetzung unseres Ausschusses mit der Regierung endete mit dem schlichten Ablehnen unseres Antrages ,,Kind & Karriere".
Unter anderem sollte die Regierung beauftragt werden, vorhandene Strukturen der Kinderbetreuung zu erfassen und offen darzulegen, was in den kommenden Jahren geplant sei, um demographische Veränderungen abzufedern und insbesondere Familien stützend und begleitend zur Seite zu stehen. Stadt und Land, alleinerziehend und Familie, mit Kindern oder kinderlos ­ die Bandbreite der gesellschaftlichen Realität lässt sich ja kaum noch mit Konzepten aus den vergangenen Jahrzehnten abbilden. Wir müssen neue Wege einschlagen und endlich einsehen, dass wir die Veränderungen nicht aufhalten können, sondern dass wir uns ihnen stellen müssen.

Darauf bezieht sich in meinen Augen auch die Auseinandersetzung mit der Landesregierung. Auch wenn man Niederlagen einzustecken hat, die zwar die Durchsetzungskraft der Regierenden belegen, aber den Thüringer Bürgern nun nichts mehr bringen können, darf man ja nicht aufgeben und muss weiter machen. Aufgaben gibt es ausreichend.

24.08.2011 Thüringische Landeszeitung (TLZ), Gerlinde Sommer