Sperrklausel
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OTZ, 16.7.2007:

Verfassungsgericht verhandelt Sperrklausel
FDP will Fünf-Prozent-Hürde kippen

Erfurt (OTZ). Der Thüringer Verfassungsgerichtshof verhandelt heute erneut die Fünf-Prozent-Hürde bei Wahlen zu Gemeinderäten und Kreistagen.

Die FDP hatte über mehrere Kreisverbände Widerspruch gegen das Kommunalwahlergebnis 2004 eingelegt, da die Sitzverteilung nach der Fünf-Prozent-Hürde bemessen wurde. Dies beeinträchtige die Wahlrechtsgleichheit und die Chancengleichheit der Parteien und sei deshalb verfassungswidrig, erklärten die Liberalen. Aufgrund des Widerspruches und der Klagen habe das Verwaltungsgericht Weimar das Verfahren ausgesetzt, um vom Verfassungsgerichtshof die Rechtmäßigkeit der Fünf-Prozent-Klausel prüfen zu lassen.

Die Fünf-Prozent-Hürde sei auf Landes- und Bundesebene notwendig, sagte FDP-Generalsekretär Patrick Kurth, weil die Wahl der Ministerpräsidenten beziehungsweise des Bundeskanzlers belastbare Mehrheiten bedürfe. Die hauptamtlichen Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte werden aber seit 1994 direkt gewählt. Daher müsse das Wahlgesetz aus dem Jahr 1993 im Sinne der Verfassung geändert werden.

Im März hatte der Verfassungsgerichtshof beschlossen, den Sachverhalt weiter aufzuklären. So soll geprüft werden, ob in Sachsen-Anhalt, wo es keine Fünf-Prozent-Hürde gibt, die Entscheidungsfähigkeit der Gremien durch Zersplitterung beeinträchtigt wurde.

Mit einer Gerichts-Entscheidung wird nicht heute, sondern an einem späteren Termin gerechnet.

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OTZ, 16.7.2007:

Fünf-Prozent-Hürde schwankt

Sachsen-Anhalt kennt kommunale Sperrklausel nicht - Zeuge vor Verfassungsgericht. Von OTZ-Redakteur Volkhard Paczulla

Maria-Elisabeth Grosse sieht sich seit gestern ihrem Ziel ein Stück näher. Die FDP-Frau hat gegen die Fünf-Prozent-Sperrklausel bei Kommunalwahlen geklagt, die sie als Landtagsabgeordnete der 1. Legislaturperiode selbst mit beschloss. Ihre Klage soll eine Art Wiedergutmachung sein.

Und sie soll zu einer gerechteren Stimmgewichtung bei Thüringer Kommunalwahlen beitragen. Zur Weimarer Stadtratswahl 2004 bekam die liberale Kandidatin Grosse exakt 718 gültige Stimmen. Da die FDP in Weimar aber nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kam, wurde Frau Grosse keine Stadträtin. Dafür zog der Letzte der CDU-Liste mit 366 Stimmen ins Kommunalparlament ein, das Schlusslicht der PDS sogar mit nur 197 Stimmen.

Ein Umstand, den auch die Thüringer Grünen beklagen. Sie scheiterten aber im Vorjahr aus formellen Gründen vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof (OTZ berichtete). Grosses Fall dagegen wollen die Richter durchziehen. Zur Beweisaufnahme war gestern ein "Zeuge mit Sachverstand" geladen: Klaus Klang, langjährig leitender Mitarbeiter im Magdeburger Innenministerium und Landeswahlleiter Sachsen-Anhalts. Das Nachbarland kommt seit Jahr und Tag ohne Sperrklausel bei Kommunalwahlen aus.

Und zwar problemlos, daran ließ der Zeuge keinen Zweifel. Das Hauptargument der Thüringer CDU-Regierung, ohne Fünf-Prozent-Hürde würden die Gemeinderäte und Kreistage zersplittern bis zur Entscheidungsunfähigkeit, wies Klang zurück. Er hatte vor seiner Aussage alle 41 Städte mit 10 000 Einwohnern und mehr abgefragt. Außerdem die 21 ehemaligen Landkreise, die eine Gebietsreform erst im April dieses Jahres auf elf reduziert hat. Keiner habe von Schwierigkeiten berichtet, auch das Landesverwaltungsamt nicht oder die kommunalen Spitzenverbände. Es gebe in der praktischen Arbeit der kommunalen Gremien weder auffällig lange Entscheidungswege noch sachfremde Entscheidungen.

Besonders Thüringens Justizminister Harald Schliemann (CDU), der als Regierungsvertreter an der Verhandlung teilnahm, überzeugte Klangs Auftritt nicht. Er schaute sich die Wahlergebnisse der kreisfreien Stadt Dessau an, zu der neuerdings auch Roßlau gehört. Während die Wahlbeteiligung von 1999, 2004 bis 2007 kontinuierlich abnahm, wuchs der prozentuale Stimmenanteil von Einzelbewerbern und freien Wählergruppen von zehn auf über 18 Prozent. "Ist das keine Tendenz?", fragt der Minister. Klang blieb unbeeindruckt. Man habe in Sachsen-Anhalt nach der Wende in sehr kleinteiliger Struktur begonnen. Mit rund 1300 selbstständigen Gemeinden und vielen Wählergruppen, die sich parteipolitisch nicht binden wollten. "Dieses zarte Pflänzchen", sagte Zeuge Klang, "sollte nicht zertreten werden." Das Fehlen der Fünf-Prozent-Hürde sei parlamentarisch auch nie in Frage gestellt worden, zumal sich das Land damit in guter Gesellschaft mit den meisten Bundesländern befinde. Der Stimmenanteil von Einzelbewerbern bewege sich zwischen 0,0 und etwa zehn Prozent.

Ob man nicht auch beim Nachbarn wenigstens für die Zukunft Schwierigkeiten befürchten sollte? Klang: "Befürchtungen kann man immer haben. Ich sollte hier einen Erfahrungsbericht geben."

Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski (CDU) sagte, für sie ist nicht entscheidend, ob andere Länder ohne Sperrklausel auskommen. Sie könne auch nach dieser Zeugenaussage nicht ausschließen, dass es durch Aufhebung der Klausel in Thüringen zu "erheblichen Schäden" kommt. Der Gesetzgeber müsse es zu diesem Schaden nicht erst kommen lassen.

Gerichtshof-Präsident Harald Graef kündigte ein Urteil noch im Herbst an. Es könnte nicht einstimmig ausfallen, die Materie sei schwierig, sagte er. Der Bitte der Regierung, das ganze Verfahren wegen anstehender verfassungsrechtlicher Streitigkeiten in Schleswig-Holstein und Hamburg auszusetzen, werde der Verfassungsgerichtshof aber nicht nachkommen.
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OTZ-Kommentar, 17.7.2007:

Besonders anfällig

Diesen Zeugen hat die in Thüringen regierende CDU nicht gewollt. Sachsen-Anhalt kommt gut ohne Sperrklausel bei Kommunalwahlen aus, na und? Dafür sitzen jetzt 13 NPD-Kader in den Kreistagen.

Das stimmt. Und der hiesige Justizminister Harald Schliemann (CDU) hat auch recht, wenn er sagt, mit Fünf-Prozent-Hürde wären die NPDler allesamt draußen geblieben. In der Verhandlung gestern in Weimar haben aber weder er noch andere Hürden-Befürworter dieses Argument vorgebracht.

Weil es nicht schlüssig ist. Die jüngste Kommunalwahl in Sachsen-Anhalt war auch bei fehlender Sperrklausel kein Erfolg für die Rechtsextremen. 2,5 Prozent landesweit. Außerdem eignen sich Kommunalparlamente nur bedingt für ideologische Tiraden. Wo es wirklich Probleme mit politischem Extremismus gibt, schaffen es die Heilsversprecher auch über die Fünf-Prozent-Hürde eines Landtags.

Minister Schliemann sagt, er will den Anfängen wehren. Gerade in Thüringen. Denn hier hätten die Leute schon ab 1929 eine besondere Anfälligkeit für die Partei gezeigt, die dann 1933 an die Macht kam. Das sei keine Volksbeschimpfung, sondern Tatsache. (pa)

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TLZ, 17.6.2007, S.1.
"Schliemann soll sich entschuldigen"

Weimar. (tlz/mar) Peinlicher Ausrutscher von Justizminister Harald Schliemann (CDU) vor dem Landesverfassungsgericht. Schliemann verteidigte die Fünf-Prozent-Klausel bei Kommunalwahlen mit dem Argument, das diene auch der Abschottung von links- und rechtsextremen Parteien. Die Thüringer hätten bereits seit 1929 eine "starke Anfälligkeit" für das NS-Regime bewiesen. "Das wollen wir nicht wieder." Man müsse Thüringen und seine Geschichte anders messen als seine Nachbarländer.

FDP-Generalsekretär Patrick Kurth nannte die Aussage des Justizministers "beschämend." Mit seinen Aussagen fälle der Justizminister nicht nur ein Pauschalurteil über eine Generation, sondern nehme gleich nachfolgende Generationen in Mithaftung. Eine solche Aussage sei nicht hinnehmbar. Schliemann müsse sich dafür entschuldigen.

Die Sitzung des Verfassungsgerichtshofs hat aus Sicht der FDP deutlich gemacht, dass beim Wegfall der Fünf-Prozent-Klausel keine wesentlichen Probleme in den Kommunalparlamenten aufträten. Das bestätigte auch der Landeswahlleiter von Sachsen-Anhalt, Klaus Klang.

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TLZ-Kommentar, 16.07.2007

Thüringer Sippenhaft

Wer weiß schon, was seine Vorfahren Ende der 20er Jahre gewählt haben?! Klar ist, in Thüringen, das lange als ein roter, vor allem sozialdemokratischer Landstrich galt, gewannen in der zweiten Hälfte der 20er Jahre bald schon die Nazis und ihre rechtslastigen Mitbewerber Zulauf. Das Wahlvolk, jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil, setzte auf die Antidemokraten, auf die Truppen in fehlfarbenen Uniformen, die verkorksten Existenzen eine kleine Teilhabe an der Großmannssucht versprachen.

Gewählt wurde damals von manchen ohne Sinn und Verstand. Und das Buch, in dem stand, wie sein Kampf zum Kampf gegen die Menschlichkeit werden sollte, stellten sich die Mitläufer stolz ins Buchregal - oft ungelesen. Das alles ist beschämend. Aber es ist kein Grund, heute den Thüringern grundsätzlich zu misstrauen. Erstens ist Sippenhaft nicht statthaft. Das müsste ein Jurist wissen. Zweitens vererbt sich politische Unvernunft nicht. Selbst wenn Schliemann annähme, die Jungen singen wie die Alten klingen, müsste bedacht werden: Viele Familien sind erst mit und nach dem Kriegsende 1945 hierher gekommen. Drittens sind die heutigen Wähler in fast 18 Jahren Demokratie wohl klug genug geworden, um sich nicht blindlings den Rattenfängern anzuschließen. Und viertens ist es Aufgabe einer freiheitlichen Demokratie, freiheitliche Demokraten zu fördern. Da taugt nicht die strafende Vater-Staat-Attitüde eines Ministers, der sich natürlich nicht als schutzbedürftigen Thüringer (zu dumm zum wählen) betrachtet. So viel Hochnäsigkeit mit dem Rücken zum Volk war selten - jedenfalls seit 1989.
16.07.2007 Von Gerlinde Sommer

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Freies Wort, 17.6.2007.

FÜNF-PROZENT-HÜRDE
Kein Untergang des Abendlandes in Sachsen-Anhalt

Das Thüringer Verfassungsgericht in Weimar verhandelt heute erneut zur Rechtmäßigkeit der Fünf-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen. Der Blick der höchsten Richter geht dabei über den Freistaat hinaus gen Norden.

WEIMAR - Thüringens Nachbar Sachsen-Anhalt kennt keine Fünf-Prozent-Klausel bei Kommunalwahlen. Im Land von Börde, Altmark und Harz verspürte man nach der Wende gar nicht erst die Neigung, jene Hürde aufzurichten, die nun auch in Thüringen nach der Klage eines FDP-Politikers umstritten ist. Der Ausgang dieses Experiments wird deshalb für Thüringen interessant.

Für die Weimarer Verfassungsrichter geht es heute nämlich um die Frage, ob der Verzicht auf die Wahlhürde ins politische Chaos führt. Darum sollen Vertreter aus Sachsen-Anhalt von ihren Erfahrungen berichten. Öffnet tatsächlich der Wegfall der Hürde vielen Splittergruppen den Weg in die Parlamente? Macht er damit die Politik handlungsunfähig?

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Regelung fußt auf
Erfahrungen der
Weimarer Republik

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Einst war die Regelung, wonach Wählerstimmen für eine Partei oder Liste erst dann berücksichtigt werden, wenn sie mindestens fünf Prozent betragen, nach den Erfahrungen aus der Weimarer Republik eingeführt worden. Die Zersplitterung der politischen Landschaft in viele kleine Kräfte gilt als einer der Gründe, die schließlich zur Machtergreifung der Nazis führten. Und so hat die Hürde etwa beim Bundestag wie auch den Landesparlamenten weiter Bestand. Anfang der 90er Jahre gelangte sie dann auch ins Thüringer Kommunalwahlrecht, als die Gesetze von anderen Bundesländern im Westen übernommen wurden. Thüringens aktueller Justizminister Harald Schliemann (CDU) hatte in einer ersten Verhandlung in Weimar die Regelung bereits als sinnvoll verteidigt: "Die Funktionsfähigkeit der Parlamente zu sichern, ist Sinn dieser Klausel." Schließlich müssten sie in der Lage sein, die Arbeit der Bürgermeister beziehungsweise Landräte und ihrer Verwaltungen zu kontrollieren. Ein Haufen wilder Protestler - so die Kalkulation, die dahinter steht, - könnte dazu kaum in der Lage sein.

Eine Umfrage unserer Zeitung unter Experten der kommunalen Ebene aus Sachsen-Anhalt ergab allerdings, dass dort keineswegs der Untergang des Abendlands bevorsteht: "Wir leiden nicht darunter", sagte so beispielsweise Heinz-Lothar Theel, Geschäftsführer des Landkreistages in Sachsen-Anhalt. Und auch Heiko Liebenehm vom Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt kann keine Beispiele nennen, wo eine Zersplitterung der Räte die Handlungsfähigkeit beeinträchtigt hätte. Aus dem Magdeburger Innenministerium, dessen Vertreter als "sachverständige Zeugen" in Weimar gehört werden sollen, erklärt Sprecher Theo Struhkamp: "Wir sehen keine Veranlassung, etwas zu ändern."

Das mag um so mehr erstaunen, als es in Sachsen-Anhalt vergleichbare Aufregungen um Wasser- und Abwasser- beziehungsweise Straßenausbaubeiträge gibt. Der Zorn über die Abzocke habe Vertreter einzelner Initiativen in die Volksvertretungen gespült, bestätigt man denn auch in Thüringens Nachbarland. Allerdings kommt man dort offenbar damit zurecht. Selbst in Fragen der Finanzierung funktionierten die Gemeinderäte beziehungsweise Kreistage, heißt es. Und auch die Gefahr, dass rechtsextreme Parteien so zu mehr Sitzen kommen könnten, relativiert sich dort schnell, wo die DVU 1998 trotz Fünf-Prozent-Hürde den Sprung in den Magdeburger Landtag geschafft hatte. Gerade in den Kommunalparlamenten entzauberten sich die rechten Extremisten sehr schnell im Umgang mit der Sachpolitik, heißt es - und auch ihre Landtagsmandate in Sachsen-Anhalt verloren die Rechten 2002 wieder.

Dass der Thüringer Verfassungsgerichtshof diese Erfahrungen aus Sachsen-Anhalt mit eigenen Ohren hören will, könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Fünf-Prozent-Hürde auch in Thüringens Kommunalwahlrecht wackelt. Ursprünglich hatte das Gericht bereits im März eine Entscheidung verkünden wollen, dann setzte sich aber eine knappe Mehrheit von fünf zu vier Richtern mit dem Vorschlag einer weiteren Verhandlung zu dem Thema durch. Für das höchste Thüringer Gericht ist das eine absolute Neuheit. Immerhin macht sie eines klar: Die Klage ist nicht von vornherein abgewiesen, sondern muss tatsächlich inhaltlich entschieden werden. Falls das Gericht nicht noch mehr Beratungsbedarf entdeckt, wäre nach dem heutigen Verhandlungstag in drei Monaten - also Mitte Oktober - Urteilsverkündung. (ek/jwe)
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Südthüringer Zeitung, 17.7.2007.

KOMMUNALE 5-PROZENT-HÜRDE
Befürchtungen kontra Erfahrungen
Beweisaufnahme am Weimarer Verfassungsgerichtshof
VON STZ-KORRESPONDENT GEORG GRÜNEWALD
Was passiert, wenn es in Städten, Gemeinden und Kreisen keine 5-Prozent-Hürde gibt? Dazu hat der Verfassungsgerichtshof in Weimar gestern den Blick auf das Nachbarland Sachsen-Anhalt gerichtet. Dort will man keine schlechten Erfahrungen mit dem Verzicht auf die Sperrklausel gemacht haben. Aber das beweise nicht, dass die nicht möglich wären, halten die Vertreter der Landesregierung weiter dagegen.

WEIMAR - Klaus Klang war fleißig. Alle 41 kreisangehörigen Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern, alle drei kreisfreien Städte, alle 21 Kreise und die Mittelbehörden aus seinem Bundesland hat der Landeswahlleiter aus Sachsen-Anhalt angeschrieben, um dem Verfassungsgerichtshof in Weimar über die Erfahrungen Sachsen-Anhalts mit einem Kommunalwahlrecht ohne 5-Prozent-Hürde zu berichten, als Zeuge und Sachverständiger, wie ihn Verfassungsgerichtshofpräsident Harald Graef einführt.

Das Ergebnis: "Keiner hat geantwortet, durch das Fehlen der Sperrklausel haben wir Schwierigkeiten bekommen", berichtet Klang. Was sich mit seiner Erfahrung decke. Obwohl das Nachbarland schon viermal Kommunalparlamente gewählt hat, ohne eine 5-Prozent-Hürde zu kennen, 1994, 1999, 2004 und - nach einer Kreisgebietsreform 2007. Aber nie habe es im Landtag auch nur eine Diskussion über die 5-Prozent-Hürde gegeben. Selbst außerhalb des Parlaments habe er so eine Diskussion nicht wahrnehmen können.

Nur einzelne Landräte und Bürgermeister hätten darauf hingewiesen, dass man das Thema beobachten müsse, bestätigt Klang, nachdem die Richter an seine schriftliche Stellungnahme erinnern. Es habe "schlichtweg keine Rolle gespielt".

Aber in Thüringen, wo es die 5-Prozent-Hürde auch für Kommunalparlamente gibt, spielt es eine Rolle. Für Grüne- und FDP-Kandidaten zum Beispiel, die bei den jüngsten Kommunalwahlen rechnerisch einen Sitz errungen hätten, wenn es die Sperrklausel nicht gäbe. Wie Maria Elisabeth Grosse. 718 Stimmen hat sie im Jahr 2004 bei der Stadtratswahl in Weimar bekommen, aber für einen Sitz im Kommunalparlament haben sie nicht gereicht, weil ihre Partei, die FDP, nur gut 3, aber keine 5 Prozent erzielt hatte. Ein Vertreter der PDS sei mit 197 Stimmen in den Weimarer Stadtrat eingezogen, berichtet Grosse. Weshalb sie ihr Mandat jetzt vor dem Verwaltungsgericht durchsetzen will, das wiederum den Landesverfassungsgerichtshof um Stellungnahme gebeten hat.

Klang muss Grosse gestern nicht weiter befragen. Er stärkt auch so eindeutig ihre Position. Dafür haken die Richter und die Landesregierung nach, ob es nicht doch Anhaltspunkte dafür gibt, dass es zu einer Zersplitterung der Parlamente gekommen sei oder kommen könnte, dass Einzelbewerber regionale Interessen vertreten, Mehrheitsbildungen erschwert worden seien oder ein Trend zu mehr Einzelkandidaten und Wählergruppen zu verzeichnen sei. Doch Klang lässt die Befürchtungen bestenfalls theoretisch gelten. In der Praxis spielten diese Themen keine Rolle oder seien auch mit 5-Prozent-Hürden und größeren Fraktionen möglich. "Was ist Zersplitterung?", fragt er zum Beispiel. Objektiv mag es sie geben, aber keine mit nachteiligen Folgen. Seit 1991 ist Klang beruflich mit dem Kommunalwahlrecht in Sachsen-Anhalt befasst, er hat an dessen Entstehung mitgewirkt. Daran erinnert Justizminister Harald Schliemann (CDU) am Ende das Gericht. Möglicherweise sei Klangs Blick auf sein eigenes geistiges Kind getrübt, wie das der Eltern auf ihre Kinder, meint er und ist überzeugt, dass der Alltag das ist, "was nicht in den Akten steht". Es gebe immer noch die Gefährdung, betont der Minister. Und die abstrakte Gefährdung für die Zukunft genüge. Die 5-Prozent-Hürde sei nicht zu beanstanden, so Schliemann, der auch an die speziellen Thüringer Erfahrungen in der Weimarer Republik und Bestrebungen der Rechtsextremen erinnert.

"Wir müssen nicht erst warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist", meint Schliemann. So einfach sahen es die Richter offensichtlich nicht. Einer kontert mit der Frage: Aber wie sei es, wenn es gar keine Anzeichen dafür gibt, dass das Kind überhaupt auf den Brunnen zuläuft?

So sieht der Weimarer FDP-Kreisvorsitzende Norbert Staniszewski eine "klare Aussage des Zeugen". Die Befürchtungen der Landesregierung, dass die Funktionsfähigkeit der Kommunalparlamente beeinträchtigt werde, würden in Sachsen-Anhalt nicht geteilt. Aber von Vergleichen hält die Landesregierung in dieser Frage weiterhin nichts. Auch wenn Schliemann, - wenn schon, denn schon - die Argumentation der Gegenseite gerne aufgreift und auf Schleswig-Holstein und Hamburg blickt. Sollte man nicht abwarten, wie die Gerichte dazu urteilen? Aber davon halten wiederum die Richter offensichtlich nichts. Sie wollen noch dieses Jahr entscheiden. Schließlich sind auch bald wieder Kommunalwahlen in Thüringen.

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Thüringer Allgemeine, 16.07.2007.

Experte: Sperrklausel unnötig
Von Harald WEHM

Im Prozess um die 5-Prozent-Sperrklausel bei Kommunalwahlen hat der Freistaat vor dem Verfassungsgericht einen Rückschlag erlitten. Das Urteil kommt aber erst im Herbst.

WEIMAR. Nach Ansicht des Wahlleiters von Sachsen-Anhalt, Klaus Klang, sei eine 5-Prozent-Hürde bei den Wahlen der Gemeinde- und Stadträte unnötig. Das hätten die Erfahrungen der letzten Jahre in Sachsen-Anhalt ergeben, sagte der Sachverständige vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof in Weimar aus. Anders als Thüringen verzichtete Sachsen-Anhalt nach 1990 auf solch eine Sperrklausel.

Nach Ansicht des Freistaats verhindert die Klausel die Zersplitterung der Kommunalparlamente und den Einzug von Extremisten. Kritiker lehnen die Hürde ab, da sie kleinere Gruppierungen gegenüber etablierten Parteien deutlich benachteilige.

Trotz fehlender Sperrklausel seien in Sachsen-Anhalt "Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfähigkeit von keiner Kommune berichtet worden", sagte Wahlleiter Klang. Zwar gebe es ortsweise eine höhere Anzahl an Gruppierungen im Gemeinderat. Dass sich dadurch aber Entscheidungen verzögerten, könne er nicht bestätigen. Auch in größeren Fraktionen würden Politiker nicht immer nur am Gemeinwohl orientiert entscheiden. Schipanski (CDU) wies dennoch den Bericht zurück. "Die Erfahrungen sind nicht auf Thüringen übertragbar." Auch CDU-Justizminister Harald Schliemann verteidigte die Hürde: Sie verhindere, dass die NPD in die Stadträte einziehe. Klägerin Maria-Elisabeth Grosse (FDP) kritisierte dies. Das Land solle sich lieber um ein Verbot der rechtsextremen Partei bemühen.

Der Thüringer Verfassungsgerichtshof will sein Urteil im Herbst fällen. Gerichtspräsident Harald Graef begründete dies mit der "komplizierten Materie". Er hatte zuvor einen Vorschlag des Justizministeriums zurückgewiesen, das Verfahren durch Aussetzung weiter hinauszuzögern.

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DPA-Bericht, 16.7.2007:

Die Fünf-Prozent-Hürde wackelt
Verhandlung vor Verfassungsgerichtshof Weimar fortgesetzt / Urteil für Herbst angekündigt

Weimar. Die Fünf-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen in Thüringen wackelt. Die Anhörung des Landeswahlleiters Klaus Klang aus Sachsen-Anhalt gestern vor dem Verfassungsgerichtshof hat ihr einen weiteren Stoß versetzt. Das Thüringer Nachbarland habe die Sperrklausel nie eingeführt, die kommunalen Parlamente könnten aber trotzdem schnell und effizient arbeiten, lautete Klangs Resultat. Die Landesregierung kämpft dagegen weiter für die Beibehaltung. Mit der Anhörung des Sachverständigen will der Verfassungsgerichtshof den Prozess jetzt abschließen. Präsident Harald Graef kündigte ein Urteil noch in diesem Herbst an.
Vieles deutet darauf hin, dass die Hürde nicht zu halten ist, wenngleich das Gericht vermutlich keinen einstimmigen Beschluss fällen wird. Graef lies durchblicken, "dass die Entscheidung schwierig ist und möglicherweise unterschiedliche Auffassungen vertreten werden können". Das Gericht setzte bereits ein Zeichen mit der Einladung des Sachverständigen aus einem anderen Bundesland, gegen den sich die Landesregierung wehrte. Zudem wandte sich Graef gegen die Anregung der Regierung, das Verfahren mit Blick auf eine Entscheidung in Schleswig-Holstein auszusetzen.

Die Aussage Klangs spielte den Klägern von FDP und Grünen in die Hände, die bei den Thüringer Kommunalwahlen 2004 knapp an der Hürde gescheitert waren. Der Landeswahlleiter aus Sachsen-Anhalt hatte die Kreise, kreisfreie und kreisangehörige Städte angeschrieben und um ihre Erfahrungen gebeten. Das Ergebnis: Der Stimmenanteil der Einzelbewerber, die in die Parlamente einzogen, lag im Höchstfall bei zehn Prozent. Durch die Zersplitterung der Gremien gab es in der Vergangenheit keine Schwierigkeiten bei der praktischen Arbeit.

Ob die Einzelbewerber vor allem ihre Interessen durchsetzten, wollte Klang nicht kommentieren. "Es ist schwer in die Köpfe hinein zu schauen." Es gebe allerdings auch in größeren Fraktionen Abgeordnete, die sich ihrem Heimatort stärker verpflichtet fühlten. Auch damit müssten die Gremien im Alltag umgehen. "Es gehört zum politischen Geschäft, Mehrheiten zu organisieren." Dass es künftig ohne Fünf-Prozent-Hürde Schwierigkeiten geben könnte, wollte er nicht ausschließen. "Befürchtungen kann ich immer haben."

Trotz des Erfahrungsberichts beharrte die Thüringer Landesregierung auf ihrer Einschätzung: Der Wegfall der Klausel führe zur Zersplitterung, die die politische Arbeit behindere. "Die NPD hat die klare Marschrichtung ausgegeben, die Kommunalparlamente zu unterwandern", sagte Justizminister Harald Schliemann (CDU). Die Fünf-Prozent-Hürde diene der Abschottung von links- und rechtsextremen Parteien. Die Thüringer hätten bereits seit 1929 eine "starke Anfälligkeit" für das NS-Regime bewiesen. "Das wollen wir nicht wieder."

Innenstaatssekretär Rüdiger Hütte zeigte sich verwundert, dass das Verfassungsgericht für seine Entscheidung auf die Erfahrungen eines anderen Bundeslandes zurückgreife. Er sprach sich gemeinsam mit Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski (CDU) dafür aus, die Entscheidung über die Hürde der Regierung zu überlassen. Diese müsse die Gefahr einschätzen, die durch den Fall der Klausel auf die Gemeinschaft zukäme und entsprechende Vorkehrungen treffen.
"Wir müssen nicht erst warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist", ergänzte Schliemann. Dem entgegnete ein Richter mit der Frage: "Muss nicht wenigsten gewährleistet sein, dass das Kind überhaupt auf den Brunnen zulaufen kann?" und deutete damit die Richtung an, die das Verfassungsgericht ansteuert. Ingo Senft-Werner, dpa.

17.07.2007 Pressestelle